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Eine unberührte Welt - Band 3 (German Edition)

Eine unberührte Welt - Band 3 (German Edition)

Titel: Eine unberührte Welt - Band 3 (German Edition)
Autoren: Andreas Eschbach
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Gespensterkostümen, die von Haus zu Haus zogen und Süßigkeiten einforderten.
    »Steht so in der Enzyklopädia Britannica«, behauptete Norbert. »Halloween geht auf Samhain zurück, das Erntedankfest der alten Kelten. An diesem Tag kehren die Geister der Ahnen in ihre Häuser zurück, und man kann den Teufel anrufen, ohne seine Seele zu verwirken. Oder so ähnlich.«
    Ich zuckte mit den Schultern. Ich bin schon immer ein naives Bürschchen gewesen. »Na und?«
    Norbert schob sein Bier beiseite und seinen Stuhl zurück. »Komm«, sagte er. »Ich muss dir was zeigen.«
    Was er mir gleich darauf in seinem Zimmer zeigte, war ein altes, dünnes Büchlein, in Frakturschrift gedruckt und in Karton von der Farbe getrockneten Blutes gebunden. Keine Verlagsangabe, keine Jahresangabe. »Ein Privatdruck offenbar«, meinte Norbert. »Ich habe es aus dem Antiquariat in der Ziegenhainstraße. Erstaunlich, was?«
    »Seit wann gibt es in der Ziegenhainstraße ein Antiquariat?«, wunderte ich mich. Eigentlich war ich der Büchersammler von uns beiden. Norbert sammelte Sporttrophäen und Strafzettel wegen überhöhter Geschwindigkeit.
    Ich blätterte darin. Mit nicht geringer Verblüffung erkannte ich, dass es in dem Buch um Magie ging, um Beschwörungen und Zauberrituale. Ich klappte es zu. »Was soll das denn werden?«, fragte ich und spürte einen seltsam metallischen Geschmack auf der Zunge dabei.
    Norbert sah mich an. Von irgendwoher spiegelte sich ein gelber Schimmer in seinen Augen, was seinem Blick etwas Lauerndes, Verschlagenes gab. »In den Laden bin ich gegangen, weil im Schaufenster ein Buch über Liebeszauber stand«, sagte er.
    »Das ist nicht wahr.« Ich warf das Buch auf den Tisch, als könne es jeden Augenblick in meinen Händen Feuer fangen. »Es geht immer noch um Irmina?« Er brauchte gar nichts zu sagen, sein Gesicht war Antwort genug. Ich hob die Hände, zählte ihm die Fakten an den Fingern vor. »Erstens, sie ist jetzt seit über einem Jahr mit ihrem Typenzusammen. Zweitens, sie ist schwanger von ihm. Drittens, der Hochzeitstermin steht schon fest. Ich meine, sieh es endlich ein – das ist gelaufen. Das wird nichts mehr, und wenn du dich auf den Kopf stellst.«
    Norbert nahm das Buch wieder an sich, betrachtete es eine Weile schweigend und sah dann hoch. »Einen Versuch ist es wert«, sagte er und schob den Unterkiefer trotzig vor. »Die Frage ist lediglich, ob du dabei sein willst oder nicht.«
    Ich weiß nicht mehr, warum ich nicht einfach gegangen bin. Sicher nicht, weil ich sehen wollte, wie Norbert sich blamierte. Nein, in meiner Erinnerung kommt es mir so vor, als sei ich stundenlang da gestanden und hätte dem verführerischen Ruf alter, vergessener Götter gelauscht, als sei eine Stimme in mir wach geworden, älter als die Menschheit oder das Leben selbst. Später sagte ich mir, dass es mich berührt haben musste, zu erleben, wie ein Mann eine Frau so unsagbar begehrte, dass er bereit war, alles zu tun, um sie zu erobern, buchstäblich alles.
    Ich ging also nicht. Ich fragte: »Wann genau ist eigentlich Halloween?«
     
    Irmina Langenstein war bestürzend intelligent, begehrenswert schön, ehrlich, warmherzig, sympathisch – jede Sünde wert, wie man so sagt. Sie hatte gerade von Kunstgeschichte zu Germanistik gewechselt, als sie und Norbert sich auf einem Fachschaftsfest begegneten. Es knallte heftig, allerdings nur bei Norbert – Irmina gab ihm nach einigen weiteren Begegnungen zu verstehen, dass sie ihn durchaus schätze, aber eben als Freund und nichts weiter. Einer jener Sätze, die einen Mann ins innerste Mark treffen und dort hängenbleiben wie Harpunen mit Widerhaken.
    Kurz darauf sah man Irmina Langenstein – sie war eine Erscheinung, die man unmöglich übersehen konnte – Arm in Arm mit einem Tutor, einem dürren Spätintellektuellen mit langem, grau werdendem Haar, der zerschossene Cordjacketts trug, seit Jahren an einer Doktorarbeit über Hölderlin bosselte, einen Alfa Romeo mit offenem Verdeck fuhr und als den angenehmen Dingen des Lebens zu sehr zugeneigtgalt, als dass man seiner Doktorarbeit ernsthafte Chancen eingeräumt hätte.
    Norbert verging fast – vor Eifersucht zuerst, dann vor Verzweiflung. Ich hatte ihm nicht alle Aktionen ausreden können, mit denen er sich in dem vergeblichen Versuch, sie zu erobern, zum Narren machte. Er ließ sie über alle einschlägigen Radiosendungen grüßen. Er schickte ihr Blumen, bis sein Überziehungskredit erschöpft war. Er lauerte ihr
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