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Eine unberührte Welt - Band 3 (German Edition)

Eine unberührte Welt - Band 3 (German Edition)

Titel: Eine unberührte Welt - Band 3 (German Edition)
Autoren: Andreas Eschbach
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eine Maus war, eine lebendige Maus. Das hatte ich nicht gewusst, und ich wollte aufspringen und ihn davon abhalten, zu tun, was er ohne Zweifel zu tun vorhatte, aber ich brachte es nicht fertig. Ich saß da auf meinem Platz im Pentagramm wie festgewachsen und verfolgte mit grausiger Faszination, wie er der Maus den Kopf abtrennte, ihr mit grimmiger Entschlossenheit das Messer in die Kehle bohrte, während sie fiepte und sich wand und ihn aus ihren entsetzten schwarzen Knopfaugen ansah, wie der Blick dieser Augen dann erstarb und wie er ihr Rückgrat durchsäbelte und sie über die Schale hielt und ihr schwarzes Blut hineinlaufen ließ, sie regelrecht auspresste wie eine pelzige Frucht. Ich bringe es nicht über mich, den Namen aufzuschreiben, den er anrief, dreimal, die Schale wie ein Opfer vor sich in die Höhe haltend.
    Dann wartete er. Wir warteten. Nichts geschah.
    Wären meine Nerven Klaviersaiten gewesen, man hätte Töne darauf zupfen können, hohe Töne, so gespannt waren sie. Ich wagte nicht, mich zu bewegen, und Norbert hielt die Schale, als wäre er zu einem Standbild erstarrt. Und dann …
    Habe ich mir alles nur eingebildet? Jede Überlegung meines rationalen Verstandes kommt genau zu diesem Schluss. Aber so oft ich daran zurückdenke, sehe ich es wieder, höre ich es, spüre ich es. Wie sich eine Stille auf uns herabsenkte, eine kalte, schwere Stille, die die Waldlichtung zu einer düsteren Kathedrale werden ließ. Wie sich das Gras ringsum aufrichtete, jeder einzelne Grashalm, als bekäme die Erde selbst eine Gänsehaut. Wie die Luft erfüllt war von zitternder Elektrizität.
    Was.
    Es war keine Stimme, nicht wirklich, oder wenn, dann war sie leiser als eine Einbildung. Ich hielt den Atem an, ich merkte, wie Norbert den Atem anhielt, der ganze Wald schien den Atem anzuhalten.
    Willst.
    Es war eine Stimme, die unser Ohr umging, die direkt an unsere Seelen rührte, eine Stimme mit einem betäubenden, frostigen Klang.
    Du.
    Ich sah Norberts Rücken einsinken, als gebe er unter einem schrecklichen Gewicht nach. Ich sah seine Lippen zittern, als er sie zusammenpresste. Dann hörte ich ihn sagen: »Ich begehre Irmina Langenstein zur Frau.«
    Die Worte schienen von seinen Lippen zu wehen, hinaus in die Dunkelheit jenseits des Kreises, und dort aufgesogen zu werden, ehe sie die Bäume erreicht hatten. Dann herrschte wieder Stille, aber es war eine Stille voller Erwartung, eine lockende, verführerische Stille, als hätte uns eine übermenschliche Kraft gehört und wolle mehr hören.
    »Und«, kam es aus Norberts Mund, »ich will reich sein. Ich will …«
    Voller Schrecken fuhr ich hoch und nach vorn und stieß ihn gegen die Schulter. »Norbert, hör auf.«
    Er zuckte zusammen und ließ die Schale mit dem Blut fallen, und in dem Augenblick, in dem das Blut den Boden netzte, verschwand der ganze Spuk. Plötzlich war die Nacht wieder voller Tierlaute, knackender Äste und tröpfelnder Blätter, als hätte jemand eine unsichtbare Glocke von uns gehoben.
    »Scheiße«, sagte er und wischte sich ein paar Tropfen Blut von der Hose. Er warf mir einen wütenden Blick zu. »Du hast mich rausgebracht. Ich war …«
    »Es ging um Irmina«, erwiderte ich. »Das war es, was du wolltest, oder?«
    »Ja.« Er nickte, schaute sich um. Die Fackeln, die Rußstriche auf dem dürren Gras – mit einem Mal sah das alles reichlich albern aus. »Meinst du, es hat gereicht?«
    »Mir reicht es jedenfalls.« Ich stand auf und klopfte die nassenStellen meiner Hose ab. »Komm, lass uns heimfahren und Wahrscheinlichkeitsrechnung büffeln.«
     
    Ich weiß nicht, was Norbert für Vorstellungen hatte, wie der Zauber wirken sollte. Er ließ sich nichts anmerken, wollte nicht einmal mehr davon sprechen, was wir da gemacht hatten in dem Wald, aber ich hatte den Eindruck, dass er, wenn wir abends in der Wohnheimküche hockten, darauf wartete, dass Irmina einfach zur Tür hereinkam.
    Irgendwann, eine Woche später vielleicht, kam ich ins Haus und hörte ihn in der Küche telefonieren. Ich leerte meinen Briefkasten und schlich die Treppe hoch, um mich zu vergewissern.
    »Er ist nicht der Richtige für dich. Ich bin der Richtige für dich«, hörte ich ihn sagen, in einem Tonfall, als müsse er seinem besten Freund eine Dummheit ausreden. Aber es konnte nur Irmina sein, mit der er sprach. »Ich bin der Mann, den du heiraten solltest, nicht er. Das weiß ich einfach, wie ich nichts anderes im Leben weiß, und ich wollte es dir wenigstens einmal
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