Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Eine unberührte Welt - Band 3 (German Edition)

Eine unberührte Welt - Band 3 (German Edition)

Titel: Eine unberührte Welt - Band 3 (German Edition)
Autoren: Andreas Eschbach
Vom Netzwerk:
habe sie gewonnen, weil ich hartnäckig war. Und ehrlich. Ich habe sie damals angerufen, weißt du, kurz bevor all diese Dinge passiert sind, und habe ihr Glück gewünscht, und dabei habe ich ihr einfach gesagt, dass ich der Richtige für sie bin, meine ehrliche Meinung. Ich glaube, das war es, was den Ausschlag gegeben hat.«
    Ich weiß nicht mehr, was wir an dem Abend noch im Einzelnen redeten. Er holte eine Flasche Wein und dann noch eine, und irgendwann waren wir wieder bei Grundstückspreisen und Zinssätzen. Ichweiß auch nicht mehr genau, wie spät es war, als es zum letzten Mal an der Haustür klingelte, aber jedenfalls murrte Norbert etwas wie »unglaublich, dass manche Leute ihre Kinder so spät abends noch durch die Gegend rennen lassen«, als er mühsam aufstand und mit dem fast geleerten Korb hinausschlappte.
    Das Erste, was ich wahrnahm, war, dass das Leder der Couch knisterte. Als wolle sich die Füllung darin ausdehnen. Dann sah ich, wie etwas mit dem Teppich geschah, und das Gras fiel mir wieder ein, das sich aufgerichtet hatte, als bekäme die Erde Gänsehaut, damals.
    »Norbert?«
    Jedes einzelne Atom der Luft schien mit einem Mal im Bann eines übermächtigen Kraftfeldes zu stehen, die dunstigen Rauchpartikel darin sich im Rhythmus eines übermenschlichen Pulsschlags zu bewegen. Ich stand auf, bewegte mich zur Tür, als sei mein Körper nicht mehr meinem Willen unterstellt. Ich glaubte ein Geräusch zu hören, das klang wie das schwere Atmen eines Millionen Jahre alten, Millionen Tonnen schweren Wesens.
    Es kam aus der Vorhalle. Die Haustür stand offen. Der Korb lag auf dem Boden, die Bonbons in weitem Umkreis verstreut. Ein fahles, abscheuliches Licht fiel von draußen herein, ein Licht, das den Farben die Kraft zu stehlen schien, das eine graue Spur in die Welt fraß, wo immer es auftraf.
    Als ich auf die Haustür zuging, entfernte es sich, langsam und schwankend.
    Ich schwöre, die Spur, die später auf dem Marmor des obersten Absatzes eingepresst gefunden wurde, war der Abdruck eines Hufes, und seine Ränder brannten noch, als ich daran vorbeikam. Das Licht löste sich auf, war rund um die Villa und die Auffahrt verteilt wie feiner, körniger Nebel, den der Wind verwehte in Richtung des Waldes.
    Erst jetzt kam es mir zu Bewusstsein, wie nahe dieses Haus jenem Wald, jener Lichtung war. Der Ort war gewachsen, nicht zuletzt durch Norberts Anstrengungen, und schließlich hatte er seine Villa hierhin gebaut, als wäre er einer Kraft entgegengegangen, der er ohnehin niemals hätte entkommen können.
    Mit dem Auto waren es keine fünf Minuten. Ich fuhr so weit in den Wald hinein, wie ich konnte, sah wieder dieses böse, hungrige Licht und wusste, dass es von der Lichtung kommen musste. Als ein umgestürzter Baum den Weg versperrte, ließ ich den Wagen stehen, schlug mich quer durch das Gebüsch, ließ mich von Ästen schlagen und zerkratzen. Ich hatte nicht die Spur einer Idee, was ich dort auf der Lichtung machen würde, aber ich rannte, als gelte es mein Leben.
    Erst als ich den Schrei hörte, blieb ich stehen.
    Es war ein Schrei, der einem das Herz im Leibe stehenbleiben lassen konnte, ein Schrei von so unmenschlicher Fremdheit, von so entsetzlicher Verzweiflung, dass man zu Stein erstarren wollte vor Grauen. Keines Menschen Ohr hat jemals einen solchen Schrei gehört, wenn es überhaupt mein Ohr war, das diesen Schrei vernahm, und nicht mein Herz. Ich blieb stehen und wusste, dass es vorbei war. Im nächsten Augenblick erlosch das Licht.
    Ich weiß nicht, was dann geschah. Ich erinnere mich, dass ich zusammengekauert neben einem Baum hockte, als es hell wurde, frierend und bis auf den Grund meiner Seele erschöpft. Nebel hing zwischen den Bäumen, und Wasser tropfte von den Ästen herab. Ich schritt die Lichtung ab, auf der das Gras bleich und tot war und zerfiel, wenn man es berührte. In der Mitte war der Boden kahl und verbrannt, von einem alten, verwitterten Lagerfeuer vielleicht oder weil die Erde sich aufgetan hatte, um jemanden zu verschlingen. Ich sah Spuren, die Kratzspuren von Fingern hätten sein können von jemand, der über den Boden geschleift wird und sich mit aller Kraft dagegen wehrt.
    Neben den Kratzspuren fand ich ihn dann, den Ring. Ein dicker, goldener Ehering. Irmina 23.4.1993 stand darin eingraviert. Ich steckte ihn in die Tasche und ging.
    »Eine vorgetäuschte Entführung«, war sich der Kommissar sicher, der mich befragte und mit meinen kargen Auskünften zufrieden
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher