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Eine unberührte Welt - Band 3 (German Edition)

Eine unberührte Welt - Band 3 (German Edition)

Titel: Eine unberührte Welt - Band 3 (German Edition)
Autoren: Andreas Eschbach
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jeder Mittagspause an seinem Wissen teilhaben zu lassen. So lernten wir den hebräischen Kalender kennen, den muslimischen, den Kalender der Mayas und Azteken, die Zeitrechnung der alten Chinesen und so weiter und so fort.
    Eher beiläufig erwähnte er etwas, das mir das Blut in den Adern gefrieren ließ.
    Etwas so Naheliegendes. Etwas, das man hätte wissen können. Wahrscheinlich hatten wir es sogar in der Schule gehabt und bloß nicht aufgepasst. Etwas, das mich veranlasste, wenige Tage darauf spätabends in Norberts weitläufiger Villa auf seiner ledernen Couchgarnitur zu sitzen. Es war wieder Ende Oktober. Wieder Halloween.
    »Zigarre?«, bot Norbert mir eine Schachtel Havannas an.
    Ich lehnte ab. »Ist Irmina nicht da?«, fragte ich, während er sich das dicke braune Ding umständlich anzündete.
    »Nein«, sagte er, wedelte das Streichholz aus und begann zu paffen.»Kommt erst morgen wieder. Ist mit den Kindern bei einer Freundin, die eine Halloween-Party veranstaltet. Interessant, wie sie den Leuten in den letzten Jahren Halloween als Anlass zum Geldausgeben eingeredet haben, findest du nicht? Bei den Kindern wirkt es jedenfalls schon. Die sind heutzutage völlig verrückt nach Halloween.«
    »Halloween«, wiederholte ich beklommen. »Deswegen bin ich hier.«
    »Wegen Halloween ?« Er nahm die Zigarre aus dem Mund, starrte mich ungläubig an und brauchte eine ganze Weile, bis ihm einfiel, was ich meinen konnte. »Ach so. Unser kleines Gruselabenteuer damals. Das war ganz schön verrückt, was?«
    »Das war es allerdings.«
    »Schon ’ne ganze Ecke her. Das müssen jetzt …«
    »Sieben Jahre«, sagte ich. »Es war vor genau sieben Jahren.«
    Er hielt inne, rechnete nach. »Ja. Stimmt.«
    »Sieben Jahre. Du weißt doch, was in den Märchen über einen Pakt mit dem Teufel steht – nach sieben Jahren kommt er und holt deine Seele.«
    Norbert sah mich forschend an, suchte nach Zeichen beginnender Geistesgestörtheit und fing schließlich an, breit zu grinsen. »Du vergisst, dass damals Halloween war. Und an Halloween kann man den Teufel um Beistand bitten, ohne dass es einen die Seele kostet.« Er beugte sich vor, streifte die Zigarrenasche in einen schweren, teuer aussehenden Aschenbecher und grinste noch breiter. »Das ist wie mit dem Finanzamt. Man muss die Schlupflöcher kennen, dann kommt man davon.«
    »Aber man darf sich nicht verschätzen dabei, oder?«
    »Richtig. Sonst kann man am Ende ziemlich blöd dastehen.«
    Ich nickte und faltete die Hände. Wie zum Gebet. »Wir benutzen«, sagte ich, »heute den Gregorianischen Kalender. Er wurde von Papst Gregor dem Dreizehnten eingeführt, weil der Julianische Kalender, der bis dahin gegolten hatte, zu ungenau war. Die Einführung geschah, indem auf den 4. Oktober 1582 der 15. Oktober folgte – die zehn Tage dazwischen fehlen. Es hat sie nie gegeben. Um diese zehn Tage ist der Kalender verschoben worden.«
    »Macht man sich in der Softwareindustrie neuerdings über solche Dinge Gedanken?«
    »Verstehst du nicht? Du kannst nicht davon ausgehen, dass Halloween – das wirkliche Halloween, das keltische Samhain – tatsächlich dem 31. Oktober unseres heutigen Kalenders entspricht. Die Kalender sind alle gegeneinander verschoben, der gregorianische gegen den julianischen, und der keltische … Ich weiß nicht, was für einen Kalender die Kelten hatten, aber die Wahrscheinlichkeit, dass Samhain tatsächlich mit unserem 31. Oktober identisch ist, steht mindestens dreißig gegen eins.«
    Norbert sog an seiner Zigarre wie ein hungriges Baby an seiner Flasche, versuchte einen Rauchring zu blasen, brachte aber bloß eine verzitterte Wolke zu Stande. »Man könnte meinen, du glaubst den ganzen Quatsch wirklich.«
    »Irmina hast du gekriegt, oder? Und reich bist du auch geworden.« Ich hätte noch mehr sagen können, etwas, von dem er nichts wusste, aber ich behielt es für mich.
    Die Türglocke unterbrach uns mit einer Folge tiefer, melodischer Gongschläge. Norbert legte die Zigarre weg und stand auf. »Das geht heute schon den ganzen Abend so«, sagte er, griff nach einem bereitstehenden Korb voller Süßigkeiten und ging hinaus. Man hörte das Gekicher und Gegacker von Kindern, als er die Haustür öffnete.
    »Was meinen Reichtum anbelangt«, sagte er danach, »den habe ich mir hart erarbeitet. In jedem Stein dieses Hauses stecken mein Blut, mein Schweiß und meine Tränen. Du warst immer angestellt, du weißt nicht, wie das ist als Unternehmer … Und Irmina? Ich
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