Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Eine unberührte Welt - Band 3 (German Edition)

Eine unberührte Welt - Band 3 (German Edition)

Titel: Eine unberührte Welt - Band 3 (German Edition)
Autoren: Andreas Eschbach
Vom Netzwerk:
auf, um ihr zu Füßen zu fallen, und ihm, um ihn zusammenzuschlagen – was kläglich misslang, denn der Nebenbuhler verließ das Institut an jenem Abend ahnungslos durch einen anderen Ausgang, während Norbert sich beim Warten eine Erkältung holte, die ihn zwei Wochen ans Bett fesselte. Kurz darauf kursierte bereits das Datum von Irminas Hochzeit, und irgendwer wusste, dass sie schwanger war. Deshalb die Eile, denn Irminas Eltern gehörte eine kleine Baufirma draußen auf dem Land, und sie hatten einen Ruf zu verlieren. Aber da Irmina ohnehin vor Glück so strahlte, dass man das Audimax mit ihr hätte ausleuchten können, war das kein Problem für sie.
    Für Norbert schon. Wenn ich mich recht erinnere, war das sogar das Erste, was er mir über sie erzählte: dass sie jede Sünde wert sei.
     
    Am späten Abend des letzten Oktobertages – Halloween also – fuhren wir hinaus zu dem Platz, den er sich für das Ritual ausgesucht hatte, ein kleines Wäldchen, nicht weit entfernt von Irminas Heimatort.
    »Es ist abgelegen genug, dass uns keiner stört. Mitten drin ist eine Lichtung, und auf der Lichtung ein Hexenkreis. Bevor du fragst: Das sind Pilze, die entlang einer kreisförmigen Linie wachsen. Es gibt eine Erklärung, warum sie das tun, aber ich habe sie wieder vergessen. Jedenfalls, eine Lichtung mit einem Hexenkreis. Der ideale Platz.«
    »Man könnte meinen, du glaubst den ganzen Quatsch wirklich«, sagte ich.
    »Heute Abend«, antwortete er und sah mich mit unerbittlichen Augen an, »glaube ich ihn. Nur heute Abend.«
    Wir fuhren ein Stück tiefer in den Waldweg hinein, als erlaubt war, aber es war kurz nach zehn Uhr abends, und niemand sah uns. Wirstiegen aus. Die nasskalte Dunkelheit des Waldes umfing uns, roch nach Moder und nassem Holz und tausend anderen Dingen, und ich fing an zu bedauern, mich auf dieses verrückte Unternehmen eingelassen zu haben.
    Norbert packte zwei dicke Taschenlampen aus und reichte mir eine. Ich knipste sie sofort an und ließ den blassen Strahl die Umgebung abtasten: Nirgends waren Monster zu sehen, nicht einmal Tiere. Norbert schulterte eine Tasche, die wohl die Utensilien für das Ritual enthielt, und stapfte los. Ich folgte dichtauf.
    Ein Wald bei Nacht, das war nichts für meine Nerven. Ich bin eben doch ein Stadtmensch und Stubenhocker. Die Dunkelheit schien das magere Licht unserer Lampen erdrücken zu wollen, überall knackste und knisterte es, und jedes Mal, wenn ein Regentropfen von einem nassen Blatt rollte und mich traf, setzte schier mein Herz aus. Wir gingen schweigend. Ich hätte was darum gegeben, wenn einer von uns einen Witz gemacht hätte, aber Norbert war von ernster, geradezu finsterer Entschlossenheit beseelt und eindeutig nicht in der Stimmung für Witze.
    Endlich erreichten wir die Lichtung. Am Himmel zogen schwarze Wolkenfetzen dahin, zwischen denen ein zunehmender Mond herabsah wie ein halbiertes Auge. Norbert ließ die Tasche geräuschvoll zu Boden fallen, zog das Büchlein noch einmal hervor und rekapitulierte im Schein seiner Lampe die entscheidenden Stellen.
    »Bringen wir’s hinter uns«, sagte er dann, und mir rieselte eine Gänsehaut über den Rücken vom Klang seiner Worte. Oder von der Kälte, ich weiß es nicht.
    Ich hielt die Taschenlampen und leuchtete ihm, während er zwischen den Pilzen umherschritt, schwarzes Pulver aus einer Plastiktüte vom Baumarkt rieseln ließ und geheimnisvolle Linien damit markierte. Er zog sechs Wachsfackeln hervor, rammte sie entlang des Kreises in den Boden und zündete sie an, sich jedes Mal in die entsprechende Himmelsrichtung verneigend. Es sah zum Angsthaben lächerlich aus.
    Er winkte mich her, als alle Fackeln brannten, und deutete auf einen Punkt inmitten einiger Linien, die ein Pentagramm bildeten. »Setz dich da hin«, sagte er. »Da kann dir nichts passieren.«
    Ich nickte nur und tat, was er gesagt hatte. Ich hätte kein Wort herausgebracht. Das Gras war nass vom Regen, als ich mich hinkniete, und der Boden kalt.
    Norbert setzte sich in die Mitte des magischen Musters, hob die Arme und fing einen Singsang an aus Worten, die ich nicht identifizieren konnte, düsteren, rauen Lauten, dem Bellen von Kettenhunden ähnlicher als menschlichen Stimmen. Ich will das Ritual nicht in Einzelheiten schildern, aber jedenfalls stand irgendwann eine metallene Schale vor ihm, und er hielt die Arme hoch, ein Messer in der rechten Hand und in der linken etwas, das sich bewegte. Mit jähem Entsetzen erkannte ich, dass es
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher