Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Eine unberührte Welt - Band 3 (German Edition)

Eine unberührte Welt - Band 3 (German Edition)

Titel: Eine unberührte Welt - Band 3 (German Edition)
Autoren: Andreas Eschbach
Vom Netzwerk:
abgerechnet.
    Man müsste eine Geschichte darüber schreiben, dachte Brück. Eine Geschichte über einen Mann, der am Silvesterabend einsam an einem schmierigen Fenster steht, durch alte graue Gardinen auf einen hässlichen Hinterhof hinausschaut und davon träumt, Schriftsteller zu werden. Gleichzeitig bringt er es nicht über sich, vom Fenster weg und zurück an den Computer zu gehen, weil ihn die Aussicht lähmt, wieder etwas zu schreiben, was keiner lesen, keiner haben, keiner drucken will.
    Dabei hätte er heute Abend die Zeit und Besinnlichkeit gehabt, nach der er sich sonst das ganze Jahr über sehnte, heute, da die Stadt in beschaulicher Stille lag und alle zu Hause saßen bei ihren Familien …
    In diesem Moment klingelte es.
    Es war ein Mann, blond und stämmig, der geradezu begeistert schien, ihn zu sehen. Und er hielt eine Flasche Sekt in der Hand. »Herr Brück?«, fragte er mit leuchtenden Augen. »Peter Brück?«
    »Ja«, gab Brück zu.
    »Mein Name ist, ähm, Hans Schmidt«, erklärte der Fremde. »Ich bin heute Abend eingezogen«, – er machte eine unbestimmte Geste, die in die nach gedünstetem Kohl riechenden Tiefen des Hauses gerichtet war –, »nur ein Koffer und die Matratze … Dachte, ich frage Sie mal, ob Sie nicht Lust haben, diese Flasche mit mir zusammen niederzumachen?«
    »Hmm«, machte Brück. Das Ansinnen war ihm unangenehm. Bisher hatte er allzu enge Kontakte mit anderen Bewohnern des Hauses sorgfältig gemieden, weil ihm diese, geradeheraus gesagt, herzlich unsympathisch waren.
    »Ich will mich nicht aufdrängen«, erklärte der andere, als Brück zögerte. »Ich habe die Erzählung gelesen, die Sie letzten September veröffentlicht haben, und ich wollte die Gelegenheit nutzen, Sie persönlich kennenzulernen.«
    Brück hatte das Gefühl, seine Augäpfel zu unnatürlicher Größe anschwellen zu spüren. Plötzlich glaubte er zu verstehen, was die Chronisten des Mittelalters gemeint hatten, wenn sie von Verklärung sprachen: Ein unirdischer, geradezu göttlicher Glanz schien mit einem Mal von dem Mann auf dem Gang auszugehen, und der Klang seiner Stimme war plötzlich süße, himmlische Sphärenmusik. Er öffnete die Tür weiter, einladender.
    »Entschuldigen Sie. Ich war etwas überrascht. Ich hatte niemanden erwartet …«
    Der Fremde lächelte verzeihend und trat ein. »Haben Sie Gläser?«, fragte er und begann, das Silberpapier vom Verschluss der Sektflasche zu wickeln.
    Brück eilte in die Kochnische, um zwei Saftgläser aus dem überfüllten Abtropfgestell zu klauben. Der Kloß in seiner Kehle war ungeheuer. »Hat sie«, begann er und musste elend schlucken, »hat sie Ihnen gefallen?«
    »Sehr«, sang der Mund des Fremden. »Ich war ungeheuer beeindruckt.«
    Brück hätte heulen können vor Glück. »Wirklich? Sie hat Ihnen wirklich gefallen?«
    »Ja. Wirklich«, meinte sein unbekannter Gast. Damit ließ er den Korken knallen, goss die beiden Gläser gleichmäßig voll und nötigte ihn mit einer Handbewegung, eines davon zu nehmen.
    Die Erzählung … Es war eine kleine, ziemlich autobiografische Erzählung über einen jungen Verkäufer, der, eingebunden in einen immer gleichen Alltag, nur wie durch die Sichtluken einer Festung mitbekommt, wie sich draußen die Welt verändert und allmählich vor die Hunde geht. Die Veröffentlichung dieser kleinen Geschichte hatte ihn den größten Teil des vergangenen Jahrs über beschäftigt. Letztes Silvester hatte er begonnen, sie zu schreiben, und Ende Februar war er damit fertig gewesen. Im März hatte er allen Mut zusammengenommen und sie an den Herausgeber der »Wilden Blätter« gesandt, der einzigen Literaturzeitschrift der Stadt. Im April hatte er einen Brief bekommen, den er immer noch aufbewahrte: dass man sie veröffentlichen werde, in der Juli-Ausgabe! Dann hatte es allerlei Hin und Her gegeben; beinahe wöchentlich waren neue Depeschen gekommen, die ihn abwechselnd von höchsten Höhen der Ekstase hatten abstürzen lassen oder umgekehrt ihn aus den tiefsten Tälern der Verzweiflung wieder ans Licht holten: Man könne die Erzählung – leider – doch nicht veröffentlichen. Doch, man werde sie veröffentlichen, aber es seien da noch einige Punkte, die überarbeitet werden müssten. Und er überarbeitete, wieder und wieder, schlug sich Nächte um die Ohren und verbrachte sonnige Wochenenden darüber, bis das Manuskript schließlich endgültig angenommen war und in der Septemberausgabe gedruckt erscheinen sollte. Das waren noch
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher