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Lebensbilder II (German Edition)

Lebensbilder II (German Edition)

Titel: Lebensbilder II (German Edition)
Autoren: Honoré de Balzac
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Zweiter Teil
Vorrede des Verfassers
    Es gibt ohne Zweifel Mütter, denen eine vorurteilsfreie Erziehung keinen der weiblichen Reize geraubt: deren gründliche Geistesbildung sich von aller Pedanterie frei erhielt; – werden diese die Lehren, die ich hier gegeben, ihren Töchtern vorlegen? – Der Autor wagt, dies zu hoffen.
    Der unparteiische Leser wird ihm daraus keinen Vorwurf machen, daß er das Familienleben, welches man heutzutage den Blicken der Welt so sehr als möglich zu entziehen strebt, in wahrhaften Gemälden aufgedeckt hat. Er hat die gefährlichen Stellen des Lebenspfades mit Merkzeichen ausgestattet, wie die Schiffer der Loire die Sandbänke bezeichnen, um den Augen des Unerfahrenen eine sichtliche Warnung zu geben.
    Soll er auch in den Salons um Vergebung nachsuchen? – In diesem Werke gibt er der Welt wieder, was ihm die Welt gegeben. Wird man es ihm dort verübeln, daß er die Ereignisse, die einer Heirat vorangehen oder nachfolgen, treu geschildert, und sollte deshalb sein Buch jungen Frauenzimmern entzogen werden, die auf demselben Schauplatz einst sich zeigen müssen?
    Der Autor sieht nicht ein, weshalb eine Mutter den nötigen Unterricht ihrer Tochter um ein oder zwei Jahre vorenthalten soll, warum sie sie nicht beizeiten auf die Stürme vorbereiten wird, denen sie sich aussetzen muß.
    Dieses Werk soll eigentlich die dummen Bücher verdrängen, welche abgeschmackte Schriftsteller bisher den Frauen darbrachten. Möge der Autor den Bedürfnissen der Zeit und dem Zweck seines Unternehmens nachgekommen sein, – er selbst darf sich dies Zeugnis nicht geben. Vielleicht wird man ihm das Beiwort anhängen, das er seinen Vorgängern gab, allein er weiß, in der Literatur heißt nicht gefallen, nicht existieren. Das Publikum hat das Recht, den Künstlern zu sagen: – Vae victis!  –
    Schließlich erlaubt er sich noch die Bemerkung, man könnte ihm vorwerfen, sich oft auf Einzelheiten mehr als gebührend eingelassen zu haben. Es wird leicht sein, ihm Geschwätzigkeit nachzuweisen. Seine Bilder haben oft die Fehler niederländischer Schule ohne ihre Vorzüge; aber er will dieses Buch unschuldigern, unverdorbenern, weniger unterrichteten und daher auch nachsichtsvollern, Lesern widmen, als die eigentlichen Kritiker sind, deren Kompetenz er sich entzieht.

Bemerkung des Übersetzers
    Der Übersetzer hält es hier für seine Pflicht, die Tenzdenz, von welcher der Verfasser spricht, näher zu bezeichnen. Ein jedes der folgenden Bilder hat nicht einen poetischen, sondern einen praktischen Zweck, wie schon gesagt worden. Der Verfasser stellt also die Lösung des Lebensrätsels nicht in Zweifel, sondern ohne schwierige Dialektik, mit großer Sicherheit und Behaglichkeit sagt er: der Zweck des Lebens sei Famillenglück. – Der Ausspruch hat viel für und wider sich. – Dem Übersetzer liegt die Pflicht nicht ob, dies zu entscheiden. Die meisten der folgenden Erzählungen führen dies Thema nur negativ durch, das heißt: sie schildern Ehen, welche gewisser Ursachen halber nicht glücklich ausfallen konnten. Nur ein glückliches Paar erscheint in einer der sechs Novellen; ich überlasse es dem Leser, dies herauszufinden, und hat er es gefunden, so muß er eingestehen, unter solchen Umständen, bei solchen Charakteren und in solchen Umgebungen läßt sich allerdings das Familienglück nicht leugnen – und der Verfasser hat also seine Aufgabe gelöst.
    Die letzten Bemerkungen der Vorrede, anlangend die Geschwätzigkeit und das Verweilen bei Nebenumständen, schienen dem Übersetzer indessen doch bedenklich, er hat sich einige Abkürzungen erlaubt, wo der Verfasser allzuweit von dem Faden der Erzählung abschweifte.

Erstes Bild
Die Blutrache
1.
    Am einem Septembertage des Jahres 1800 langte ein Fremder, begleitet von seiner Gattin und seiner kleinen Tochter, vor den Tuilerien zu Paris an, blieb eine Weile vor den Trümmern eines erst kürzlich zerstörten Hauses stehen, schlang die Arme ineinander und senkte das Haupt.
    Wenn er hin und wieder es erhob, geschah es, um den Palast des Konsuls in Augenschein zu nehmen, oder um seine Gattin zu betrachten, welche ermüdet auf einen Stein sich niedergelassen, das kleine Mädchen zu sich gezogen hatte, und während sie voll mütterlicher Zärtlichkeit das rabenschwarze Haar desselben streichelte, dennoch ihren Begleiter nicht aus den Augen ließ und jeden seiner Blicke erwiderte. Es war nicht zu verkennen, wie nahe sich beide gingen und ein und dieselben Gefühle
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