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Eine Nacht, Markowitz

Eine Nacht, Markowitz

Titel: Eine Nacht, Markowitz
Autoren: Ayelet Gundar-Goshen
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das Augenlicht verlieren sollte – dann seis drum. Es gibt Zeiten, in denen es besser ist, blind zu sein. Sonia und das Kind würde er ohnehin nie wiedersehen.
    Nun stand der Feuerball schon in voller Pracht über den Hügeln. Der Irgun-Vizechef stand ebenfalls auf, richtete die Augen auf das große Licht, befahl ihnen, auch dann noch auszuharren, als das Unbehagen in Schmerz umschlug, der sich in Leiden verwandelte, die in Torturen übergingen, die zu versengten Pupillen führten, was in einer schwarzen, dichten Mattscheibe endete.
    Und doch machten sie ihn zum Verkehrsminister. Die schwarze Brille, die er von jenem Morgen bis zu seinem Tod tragen musste, tat seiner Erscheinung keinen Abbruch. Im Gegenteil. Sie verlieh ihm einen Glanz, der sein natürliches Charisma verstärkte. Mütter und Väter, die ihre Kinder nach ihm benannt hatten, als er lediglich der Irgun-Vizechef gewesen war, konnten jetzt zufrieden nicken. Und tatsächlich, Efraim Grünberg gedieh prächtig. Mit zwei Jahren und einem Monat wurde er von den Sahnebrüsten seiner Mutter entwöhnt, himmelte sie bis zum vierten Lebensjahr aber noch sehnlich an. Später wurde er Immobiliengutachter, einer der führenden des Landes. Efraim Scharabi bekam seine Offiziersabzeichen bei einer feierlichen Zeremonie kurz vor Rosch ha-Schana und fiel am ersten Tag des Jom-Kippur-Krieges, zehn Tage später. Efraim Jamini verließ den Kibbuz und zog in die Stadt, wo er lustvoll Frauen in Erdgeschosswohnungen ausspähte, bis er erwischt und eingesperrt und wieder entlassen wurde, worauf er sich zur Religion bekehrte und fortan nur noch in die Seiten des Talmuds spähte. Andere kleine Namensvetter wuchsen heran zu großen Namensvettern, wurden liebevoll, tadelnd, zärtlich oder respektvoll mit Efraim angesprochen. Der Irgun-Vizechef, nunmehr Verkehrsminister, traf sie nur selten und zeigte wenig Interesse an ihnen. Seine Freizeit verbrachte er mit Fernschach gegen Hobbyspieler in aller Welt. Besonders gern spielte er gegen einen jordanischen Exilanten, der in Paris lebte, schickte ihm Briefe mit brillanten Schachzügen und geschliffenen Sticheleien. Schließlich heiratete er eine Frau namens Edna, die genauso gut Hanna oder Zilla hätte heißen können. Er behandelte sie respektvoll, und sie schenkte ihm dafür Zwillinge. Wenn er mit ihnen auf der Straße ging, ein vertrauensvolles kleines Mädchen an jeder Hand, empfand er etwas, das sich durchaus als Glück bezeichnen ließ. Wenn sie bei Schabbat-Ausflügen zufällig einen Zitrushain an der Landstraße passierten, befahl er, sofort die Wagenfenster zu schließen. Nach seinem Tod fiel sein Name mehrmals bei Sitzungen, die über die Benennung neuer Straßen zu entscheiden hatten, wurde aber jedes Mal zugunsten eines hohen Offiziers oder eines Dichters oder eines anderen Zionistenfunktionärs verworfen.
    Es ist schwer zu sagen, was einem eine derart lakonische Schilderung über das Schicksal des Irgun-Vizechefs verrät, denn dürre Lebensdaten sind schließlich kein Ersatz für das Leben aus Fleisch und Blut. Aber der historischen Wahrheit zuliebe sei gesagt, dass der Irgun-Vizechef von dem Tag, an dem er Sonia und den Jungen im Krankenhaus zurückgelassen und dann in die Sonne geblickt hatte, so verschwiegen war wie ein Grab. Bei seiner Beerdigung, die sehr würdig verlief und von Nachrufen in den Abendzeitungen begleitet war, erzählte seine Frau, sie habe ihn niemals weinen sehen.

Lange nachher

D ie Schiwa wird im Haus des Verstorbenen abgehalten.« Minutenlang hat Jehuda Grünberg vor der Traueranzeige gestanden, die Erinnerung an Jakob Markowitz aus der Tiefe seines Gedächtnisses geangelt, dessen schwache, schlaffe Gestalt von Tag zu Tag, von Monat zu Monat aus der Versenkung geholt und die Einzelbilder wie beim schnellen Durchblättern eines Daumenkinos in einen lebenden Menschen verwandelt. Obwohl er immer alt gewesen war, der Jakob Markowitz, ein stummes Bild faltiger Haut und eingesunkener Augen, war er eines Tages offenbar doch älter als davor gewesen, denn wie sollte man sonst erklären, dass er eines Tages alt genug war, um zu sterben, und ein paar Tage vorher eben nicht.
    An einem Zaun zwischen dem Lebensmittelladen und dem Kindergarten fordert eine weitere Anzeige für Jakob Markowitz Beachtung. Jehuda Grünberg hat die erste schon fast wieder vergessen. Nur zehn Schritte davon entfernt, während derer er an die Einkaufsliste gedacht hat und an die horrende offene Stromrechnung und kurz an Sex. Er ist
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