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Eine Nacht, Markowitz

Eine Nacht, Markowitz

Titel: Eine Nacht, Markowitz
Autoren: Ayelet Gundar-Goshen
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Markowitz Bella schon fest, und sie wollte ihn nicht. Mit geballter Faust hielt er ihr Kleid, ohne locker zu lassen. Bei dem Anblick von Seev Feinbergs offener Hand auf Sonias Schulter erinnerte er sich plötzlich an die Gnade der ausgebreiteten Finger. Auf einmal fragte er sich, ob er seine Finger irgendwann wieder so würde ausbreiten können. Sofort erschauerte er bei dem Gedanken. Ablassen? Von Bella? Wie sollte das gehen? Er hatte doch so viele Jahre die Faust geballt, dass die Hand nun zu nichts anderem mehr taugte. Die Weigerung war ihm zur Lebensweise geworden.
    Den ganzen Weg zur Moschawa, im Auto des Irgun-Vizechefs, musterte Jakob Markowitz Bella mit forschendem Blick, als sähe er sie zum ersten Mal. Der Irgun-Vizechef und Bella bemühten sich, ein normales Gespräch zu führen, als lägen sein Sohn und ihr Sohn jetzt nicht im Krankenhaus und warteten auf den Spruch der Zeit und des Zufalls. Jakob Markowitz versank im Rücksitz und betrachtete das Profil seiner Frau, die etwas über die in diesem Jahr sehr spät reifenden Feigen sagte. Sie hatte sich immer noch Reste ihrer früheren, majestätischen Schönheit bewahrt. Die Augen jedoch umrahmte bereits ein feines Netz von Krähenfüßen, die auf die künftigen Falten verwiesen. Die zeigten sich jetzt schon an ihren Mundwinkeln, feine, weiche Falten, wie die Linien einer Bleistiftskizze, kurz bevor der Künstler sie schwungvoll auf die Leinwand malte. Trotz der leuchtenden Frische ihrer Züge konnte er bereits ahnen, wie sie im Alter aussehen würde. Die Zeit würde die Konturen ihrer Lippen verwischen und neue Linien in ihre Stirn einritzen. Aber so sehr die Zeit auch auslöschen und übermalen und Bella Markowitz’ Gesichtszüge umgestalten würde, könnte sie doch niemals den Ausdruck der Verweigerung aus ihrem Gesicht radieren, der ihr zur zweiten Natur geworden war.
    Nun machten die jetzigen und künftigen Falten Jakob Markowitz absolut nichts aus. Er wusste sehr wohl, dass er Bella immer begehren würde, ob jung oder alt, blühend oder welk. Nicht der Zahn der Zeit ließ ihn jetzt auf dem Rücksitz so zusammensinken, sondern der Ausdruck der Verweigerung auf Bellas Gesicht, ein Ausdruck, der selbst spät in der Nacht im dunklen Wagen deutlich zu sehen war. Er verbarg sich in den Brauen, lag gut getarnt auf den Wangen, verfloss im Blau ihrer Augen wie Gift in einem Wasserglas. Selbst, als Bella Markowitz in einem Ausbruch von Dankbarkeit für die Rettung ihres Kindes Jakob Markowitz’ Hand ergriffen hatte, war die Weigerung auf ihren Zügen geblieben. Zum ersten Mal fragte er sich, ob er wirklich für den Rest seines Lebens eine Frau anschauen wollte, die zwar die schönste Frau war, die er je gesehen hatte, aber deren ganze Mimik »Nein« zu ihm sagte.
    Der Wagen raste weiter durch die dunkle Nacht, das Gespräch zwischen Bella und dem Irgun-Vizechef flackerte hier und da in ein, zwei Sätzen auf, erlosch aber gleich wieder. Auf dem Rücksitz saß Jakob Markowitz und fragte sich, ob eine Faust wieder eine offene Hand werden konnte, einfach so, kraft einer spontanen Entscheidung, und die funkelnden Lichter der Nacht antworteten ihm von fern: So wie in einer weit zurückliegenden Nacht das Nein geboren wurde, so kann jetzt, in dieser Nacht, auch das Ja geboren werden. Und die Möglichkeit, dass ein so entschiedenes Nein sich eines Morgens in ein Ja verwandeln könnte, verblüffte Jakob Markowitz dermaßen, dass er kaum ihre Ankunft im Dorf bemerkte, und erst, als Bella die Wagentür aufmachte und dem Irgun-Vizechef für seine große Hilfe dankte, beeilte er sich, ebenfalls was zu murmeln und seine Tür zu öffnen. Nun standen sie vor der Haustür, Bella redete von den Vorbereitungen, die sie für die morgige Rückkehr ins Krankenhaus treffen müssten, und Jakob Markowitz sah sie schweigend an. Und schon waren sie drinnen. Der schönste Fuß, den er je gesehen hatte, blitzte einen Moment vor seinen Augen auf, als Bella die Schuhe abstreifte, und verschwand wieder in Stoffpantoffeln. Jakob Markowitz dachte an Seev Feinbergs offene Hand auf der Schulter seiner Frau. Jakob Markowitz dachte an die ewige Weigerung auf Bellas Gesicht. Jakob Markowitz dachte an die wunderbare, wundersame Art und Weise, auf die das Nein heranreifen und sich in ein Ja verwandeln könnte. Schließlich hörte Jakob Markowitz auf zu denken und fing an zu reden.
    Zuerst dachte Bella Markowitz, die Stimmen der Nacht täuschten sie, der Wind, der über die Bougainvillea draußen
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