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Eine lange dunkle Nacht

Eine lange dunkle Nacht

Titel: Eine lange dunkle Nacht
Autoren: Christopher Pike
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»Alles, worauf du Hunger hast.«
    Als sie schließlich an der Reihe waren – eine halbe Stunde später – bestellten sie beide Hühnchen-Sandwiches. Zu diesem Zeitpunkt wußte Teresa bereits, daß Bill genau wie sie in der zwölften Klasse war, sich für Astronomie und Physik interessierte und zum Mars fliegen wollte, bevor er vierzig wurde. Ebenso wußte sie, daß sie sich gerne mit ihm verabreden würde; und als er sie nach dem Essen um ihre Telefonnummer bat, suchte sie hektisch nach einem Stift.
    Ihre erste Verabredung war zwei Tage nach Weihnachten, an einem Samstag. Ihre Eltern ließen ihn eine halbe Stunde lang schmoren, bevor sie ihm die alleinige Verantwortung für das Schicksal ihrer ach so geliebten Tochter übertrugen. Bill ließ die Prozedur gelassen über sich ergehen. Als sie im Wagen saßen, erzählte er ihr, daß seine Mutter gestorben sei, als er noch ein Kind war, und daß er seinen Vater so gut wie nie zu Gesicht bekäme, weil der Mann praktisch rund um die Uhr arbeitete. Teresa empfand einen Hauch von Mitleid für Bill, konnte sich jedoch andererseits kaum angenehmere Familienverhältnisse vorstellen.
    Beim Abendessen sprach Bill über die Big-Bang-Theorie – über den Ursprung des Universums. Er erzählte ihr, daß vor rund fünfzehn Milliarden Jahren alle Materie in einem winzigen Ball zusammengepreßt gewesen sei, ein Masseklumpen nicht größer als der Punkt am Ende eines Satzes. Dieser Masseklumpen sei schließlich explodiert und habe dabei Trillionen Grad heiße Hitzewellen und ein unvorstellbar helles Licht entwickelt, das bis auf den heutigen Tag als schwaches Glimmen im All beobachtet werden kann. Bill nannte das die Hintergrundstrahlung des Universums, und es klang einfach himmlisch, denn während er sprach, flackerte in seinen Augen das Kerzenlicht, und er war frisch rasiert und hatte sich extra für sie schick gemacht. Als er einen Augenblick schwieg, stellte sie ihm eine Frage.
    »Was sind wir denn dann?« wollte sie von ihm wissen.
    »Wie meinst du das?«
    »Wenn man alle Materie im Universum in einen Punkt quetschen kann, bedeutet das dann nicht, daß wir eigentlich nichts sind? Praktisch nur herumschwebende Geister auf einem Geisterplaneten?«
    Bill nickte. »Könnte man so sehen. Im Prinzip gibt es bloß leeren Raum. Nur ein unendlich kleiner Teil von allem ist feste Materie.«
    »Und wieso kannst du dann nicht einfach durch mich hindurchschauen?« fragte sie.
    »Wer sagt, daß ich das nicht kann? Wer sagt, daß ich nicht genau weiß, was du gerade denkst?«
    »Also, was denke ich?« Sie wußte selbst nicht so genau, was, aber es war etwas an ihm dran. Er war wundervoll, seine Art, über wichtige Dinge zu sprechen – über große Dinge. Sie hatte bislang nur über kleine, nebensächliche Dinge nachgedacht – über sich selbst und was andere über sie dachten.
    Bill hob sein Wasserglas und bedeutete ihr, es ihm nachzutun. Sie stießen miteinander an. »Du denkst, du würdest gern wieder mit mir ausgehen«, sagte er.
    »Ich weiß nicht, ob ich das will.« Freudig registrierte sie, wie seine Züge aus den Fugen gerieten. »Ich meine, du bist von soviel Hintergrundstrahlung umgeben.«
    Er lachte. »Und du strahlst so hell wie tausend Sonnen, Teresa.«
    Nachdem sie sich im Kino irgendeinen langweiligen Film angesehen hatten, gingen sie zu ihm. Sein Vater war arbeiten. Der Mann mußte extrem gut verdienen – das Haus war fantastisch. Und Teresa war nervös. Noch nie war sie so spät abends mit einem Jungen allein gewesen. Doch gleichzeitig war sie gespannt und vertraute Bill. Sie wußte, er würde nichts tun, was sie nicht wollte. Sie saßen im Wohnzimmer neben einem riesigen Aquarium mit exotischen Fischen. Bill sprach sie auf ihre neue Gitarre an. Teresa hatte den ganzen Abend kein Wort über ihre Musik verloren, da sie in Gedanken zu sehr mit Galaxien, Planeten und Außerirdischen beschäftigt gewesen war. Seine Worte hatten sie zu Orten entführt, die sie noch nie zuvor gesehen hatte.
    »Und, hast du schon auf deiner neuen Gitarre gespielt?« fragte er.
    »Na klar, ich spiele ständig, jeden Tag seit meinem neunten Lebensjahr.«
    Bill war beeindruckt. »Dann bist du also eine echte Musikerin, ja?«
    Sie kicherte. »Ich bin nicht echt, genauso wenig wie du. Ich bin nur ein Stück leerer Raum, das mit leerem Raum herumhantiert.«
    »Im Nebenzimmer liegt ein Stück leerer Raum, das so aussieht wie eine alte Gitarre, nur, mein Vater hat nie gelernt, darauf zu spielen. Spielst du
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