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Eine lange dunkle Nacht

Eine lange dunkle Nacht

Titel: Eine lange dunkle Nacht
Autoren: Christopher Pike
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ist Bill Clark«, begann Teresa. »Er war mein Freund.«
    »Weshalb wünschst du, du hättest ihn umgebracht?« wollte Free wissen.
    »Ich habe meine Gründe.«
     
    Sie lernten sich in den Weihnachtsferien im Einkaufszentrum kennen. Es war zwei Tage vor Heiligabend und daher brechend voll. Teresa und ihre Mutter erledigten letzte Einkäufe, doch obwohl sie Seite an Seite gingen und auch gemeinsam gekommen waren, waren sie alles andere als ein harmonisches Mutter-Tochter-Gespann. Teresa konnte mit ihr einfach nicht einkaufen gehen, ohne sich dumme Kommentare anhören zu müssen. Ständig nörgelte ihre Mutter an ihr herum, und Teresa gab sich größte Mühe, möglichst gar nichts zu sagen. Ihre Mutter regte sich sogar darüber auf, wie Teresa lernte, nämlich bei laufender Musik auf dem Bett liegend. Daß sie nichtsdestotrotz eine erstklassige Schülerin war, interessierte dabei nicht.
    Im Augenblick war Teresa zum Glück allein und konnte tun und lassen, was sie wollte. Sie hatte Hunger und ging zu der Passage mit den Restaurants und Imbissen. Die Auswahl war riesig: mexikanisch, italienisch, chinesisch oder amerikanisch. Sie entschloß sich für Carl's Jr. – die knusprigen Hühnchen-Sandwiches dort waren köstlich – und stellte sich ans Ende der scheinbar endlosen Warteschlange. Nach ein oder zwei Minuten drehte sich der Junge vor ihr um. Auch er war mit Einkaufstaschen beladen. Er hatte braune Haare und braune Augen, aber als erstes fielen ihr seine Grübchen auf. Sie mochte Jungen mit Grübchen; dadurch wirkten sie nicht so furchteinflößend. Teresa war noch nicht oft mit jemandem ausgegangen, und Jungen machten ihr noch immer ein wenig Angst. Dieser hier war ungefähr in ihrem Alter.
    »Sieht so aus, als würden wir hier ewig warten müssen«, sagte der Junge.
    Teresa nickte. »Mindestens 'ne Viertelstunde, bis wir überhaupt bestellen können.«
    Er deutete auf ihre Taschen. »Hast du für jeden etwas?«
    Sie lächelte. »Nein, ich habe kein Geld mehr. Dieses Jahr werden einige Leute ganz schön sauer auf mich sein.« Eigentlich stimmte das nicht. Sie hatte für jeden, der ein Geschenk von ihr erwartete, etwas gekauft, und jetzt war sie so gut wie pleite. Fast vierhundert Dollar waren dabei draufgegangen, doch das Geld würde bald wieder reinkommen, sagte sie sich. Sie gab jeden Tag nach der Schule Gitarren- und Klavierunterricht. Sie spielte beide Instrumente, seit sie neun Jahre alt war, und wurde als ausgezeichnete Musikerin bezeichnet. Sie sang auch und schrieb eigene Songs, aber nur wenige Menschen wußten davon. Einer von ihnen war Rene Le Roe, ihre beste Freundin. Sie hatte ihr bei Nordstroms einen Hundertdollar-Kaschmirpullover gekauft.
    »Man kann's nicht jedem recht machen«, sagte der Junge.
    »Kann man wohl sagen«, erwiderte sie. Sie versuchte immer, es allen Leuten recht zu machen, was, wie sie glaubte, daran lag, daß sie eben ein netter Mensch war. Doch manchmal ahnte sie, daß sie einfach nur von allen gemocht werden wollte, und sie wußte, es war nicht dasselbe.
    »Bist du allein hier?« fragte der junge.
    »Meine Mutter stöbert hier irgendwo rum. Wir treffen uns in einer Stunde bei Waldenbrooks. Und du?«
    »Ich bin allein hier. Weißt du schon, was du zu Weihnachten bekommst?«
    Interessante Frage, dachte sie. »Ich weiß, daß mir meine Eltern eine neue Gitarre schenken werden, denn wir haben sie gemeinsam ausgesucht. Von meinem Bruder – er wohnt in San Diego – kriege ich wahrscheinlich einen Geschenkgutschein für Klamotten, wie immer. Meine beste Freundin wird mir irgend etwas Verrücktes schenken, etwas völlig Unbrauchbares, das ich wahrscheinlich keinem Menschen zeigen kann.«
    »Und von deinem Freund?« wollte der Junge wissen. Eine Frage zum Aushorchen – dessen war sich Teresa bewußt. Doch der Junge redete so ungezwungen drauflos, und Teresa war sich nicht sicher, ob er tatsächlich etwas von ihr wollte. Sie war sich nicht einmal sicher, ob sie es gut fände, wenn es der Fall wäre.
    Verlegen senkte sie den Kopf. »Ich habe keinen Freund«, murmelte sie.
    »Dann sollte ich dich zum Lunch einladen.« Ruckartig schoß ihr Kopf hoch.
    »Wie bitte?«
    »Darf ich dich zum Essen einladen?«
    »Weshalb? Ich kenne nicht einmal deinen Namen.«
    »Ich heiße Bill Clark. Und wer bist du?«
    »Teresa.«
    »Also, darf ich dich zum Essen einladen, Teresa?«
    Sie spürte, wie ihre Wangen rot wurden. »Kann ich bestellen, was ich will?«
    Bill lächelte und zeigte seine Grübchen.
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