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Eine Billion Dollar

Eine Billion Dollar

Titel: Eine Billion Dollar
Autoren: Andreas Eschbach
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Walkie-Talkie in der anderen fuchtelte herum und gab Kommandos. Männer in Overalls verlegten dicke Kabel und klebten sie mit schwarzem Klebeband am Boden fest. Der Generalsekretär stand hinter dem Rednerpult und ließ es geduldig über sich ergehen, dass jemand mit einem Belichtungsmesser vor seinem Gesicht hantierte. Lionel Hillman wartete in einiger Entfernung, hatte die Arme verschränkt und hörte aufmerksam dem zu, was ihm ein anderer Mann mit einem anderen Klemmbrett sagte.
    John Fontanelli dagegen hatte nichts zu tun, außer auf dem Platz zu sitzen, den man ihm zugewiesen hatte, auf den Augenblick zu warten, in dem ihn die Kamera erfassen würde, und dann ein würdevolles Gesicht zu machen oder zumindest nicht gerade in der Nase zu popeln. Alles, was er behalten musste, war, wann er den Saal betreten sollte und durch welche Tür, und das war schnell geklärt gewesen. Nun saß er da, erfüllt von dem Frieden der unerwarteten Versöhnung mit seinem Bruder, sah den anderen zu und ließ die Atmosphäre des Auditoriums auf sich wirken.
    Eine tröstliche Zuversicht schien von diesem Raum auszugehen, eine geduldige, zähe, fast dickköpfige Beharrlichkeit, gerade so, als seien die Seelen Mahatma Gandhis und Martin Luther Kings hier zu Hause. Trotzdem schienen diese Wände zu sagen, und eines Tages flüsterten die leeren Bänke. Es ist nur eine Frage der Zeit. Eines Tages würde es ein Weltparlament geben, eine Regierung für die ganze Erde, und das würde den Menschen, die dann lebten, völlig selbstverständlich erscheinen. Kinder würden im Geschichtsunterricht lernen, dass die Kontinente einst in Nationen unterteilt gewesen waren, dass die Länder ihre eigenen Regierungen gehabt hatten, eigene Armeen und eigenes Geld, und das würde ihnen so absurd erscheinen, wie einem heute die Zeit vorkam, in der Nordamerika englische Provinz gewesen war und man Sklaven gehandelt hatte wie Vieh.
    John hob den Blick zur Kuppel hinauf. Vielleicht würde dies einst der Sitzungssaal des Weltparlaments sein, altehrwürdig und traditionsreich. Er konnte diese mögliche Zukunft beinahe körperlich spüren. Dort vorn sah er den Weltpräsidenten stehen – oder die Weltpräsidentin – und eine Regierungserklärung abgeben. Er hörte die unsichtbare, ungeborene Unruhe in den Reihen des Parlaments, denn noch immer gab es Parteien, unterschiedliche Auffassungen, Streit um Geld und Einfluss und den einzuschlagenden Weg. Das, so sah er plötzlich mit luzider Klarheit, würde auch so bleiben, solange es Menschen auf diesem Planeten gab, weil es Teil war dessen, was es hieß, als Mensch zu leben. Und er spürte die Welt jenseits der Mauern, die dann sein würde, eine große, wilde, komplizierte Welt merkwürdiger Moden und bizarrer Technologien, voller Menschen und Gedanken und noch ungedachter Ideen, ein pulsierender Kosmos verschiedener Lebensweisen, zusammengehalten durch ein atemberaubend komplexes Netz von Abhängigkeiten und gegenseitigen Beziehungen, das keinen Raum ließ für Trennung und Spaltung. Er spürte eine Welt, die keine Lust mehr hatte, auch nur den geringsten Aufwand an Separation zu verschwenden, und es gefiel ihm. Ja , dachte er. Ja.
    Nur mühsam fand er aus seiner Vision zurück in die Wirklichkeit, sah sich blinzelnd um, als der Mann mit dem Walkie-Talkie auf ihn zeigte und rief: »Sind Sie bereit, Mister Fontanelli? Wir spielen das jetzt alles einmal durch.«
     
    Der Vorraum war unerwartet hell und unruhig. Die Medien veranstalteten ihre eigene Generalprobe, aus Dutzenden riesiger Scheinwerfer flutete Licht, Leute liefen durcheinander, steckten Stecker ineinander, montierten Kameras auf Stative. John sah sich um, sah den Wagen draußen warten, hielt Ausschau nach Lino, der nirgends zu sein schien. Er winkte Marco, der durch die Menge auf ihn zukam.
    »Da will Sie jemand sprechen«, sagte er und wies über Johns Kopf hinweg.
    John drehte sich um und spürte einen Schlag dabei und noch einen und einen heißen Schmerz, der ihm durch den Körper brannte. Seine Beine brachen weg, ringsherum rannte und schrie alles, ein wabernder Chor von Stimmen und Bewegungen, während er an sich herabsah und das Blut entdeckte auf seinem Bauch und den Händen, die sich dagegen gepresst hatten. Leuchtend rot war es, sprudelte regelrecht, und mit einem Mal fiel ihm ein, was er vergessen hatte, was er die ganze Zeit übersehen hatte.
    Das Testament, wollte er rufen, denen, die um ihn herum waren, aber die schrien und rannten durcheinander
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