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Eine Billion Dollar

Eine Billion Dollar

Titel: Eine Billion Dollar
Autoren: Andreas Eschbach
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schwarz auf weiß und leicht verschoben gedruckt stand. »Wenn tatsächlich nur fünfzehn Prozent zur Wahl gehen, kannst du den World Speaker vergessen. Dann ist er eine Witzfigur.«
    John nahm ihm die Blätter ab, las sie und gab sie kommentarlos zurück. »Nein«, wehrte er ab, als Paul weiterreden wollte. »Keine Diskussion. Wir ziehen es durch, egal was irgendwer sagt.«
    Für die Pressekonferenz am Abend ihrer Ankunft in New York reichte auch der größte Saal des Hotels nicht. Es mussten Tausende von Journalisten sein, die blitzten und ihre Mikrofone nach vorn richteten, und alle, alle hatten sie die Meinungsumfrage gelesen.
    »Eine Meinungsumfrage ist keine Abstimmung«, erklärte John Fontanelli. »Sie ist eine Momentaufnahme. Wir haben die zwanzig Wochen lange Wahlperiode vor uns, in der die Kandidaten für das Amt des World Speaker sich um unsere Stimmen bewerben. Im November und nach Auszählung aller Stimmen werden wir mehr wissen.«
    Geschrei, Tumult. Unmöglich, eine Frage herauszuhören. John sprach einfach weiter, sagte, was ihm gerade einfiel. Er war müde. Die Vorstellung, das Projekt scheitern zu sehen, entsetzte ihn mehr, als er zugeben mochte.
    »Wir stehen nicht nur vor der Entscheidung zwischen 251 Kandidaten«, sagte er. »Wir stehen vor einer viel grundlegenderen Entscheidung, nämlich der zwischen einer um eine Dimension erweiterten Demokratie und einem neuen Zeitalter des Feudalismus, der diesmal ein Konzernfeudalismus sein wird.«
    Wie sie alle kritzelten, dieses Wort aufnahmen, es weiter trugen, es sich auf Schlagzeilen und Titelseiten dachten… John fühlte nur noch Leere. Eine leise innere Stimme mahnte an, lieber aufzuhören und zu schweigen, als etwas zu sagen, das er später bereuen würde. Aber er konnte nicht aufhören, aus irgendeinem Grund, der stärker war als alle guten Argumente und alle Weisheit der Öffentlichkeitsarbeit. »Wenn es Gott war, der mich an diesen Platz und an diese Aufgabe gestellt hat«, sagte John Salvatore Fontanelli zum Entsetzen seines Stabes und zum Entzücken des Publikums, »dann wollte er zweifellos, dass ich tue, was ich nach bestem Wissen und Gewissen für das Richtige halte. Und das, was geschehen soll, halte ich für das Richtige. Wir gehen großen Herausforderungen entgegen. Wenn wir es nicht schaffen, sie auf anständige, menschliche Weise zu bewältigen, dann sind wir es nicht wert, fortzuexistieren.«
    Es habe geklungen wie das Gespäch eines Depressiven mit seinem Therapeuten, sollte Paul Siegel später sagen, dem es gelang, die Pressekonferenz an dieser Stelle abrupt zu beenden.
     
    Man bat die Beteiligten der Zeremonie zu einer Generalprobe, nachmittags um zwei Uhr Ortszeit, um den genauen Ablauf, wer wann von wo kommen und wohin abgehen sollte, durchzuspielen und es den Beleuchtern zu ermöglichen, das Licht optimal einzustellen. So fuhr John nach einer schweren Nacht und einem schweigsamen Morgen in seiner Limousine vor, allein diesmal, nur von Marco und zwei anderen Leibwächtern begleitet, weil Paul den Tag in Gesprächen mit Vertretern amerikanischer Konzerne verbrachte. Wie es aussah, würde die erste Firma, die er gekauft hatte, auch die erste sein, die er wieder verkaufen würde: Die Mobil Corporation zeigte sich interessiert am Erwerb von Exxon.
    Er hätte ihn beinahe übersehen. Er stieg aus, als ihm der Wagenschlag geöffnet wurde, ging den roten Teppich entlang, wie er es unzählige Male irgendwo auf der Welt getan hatte, vorbei an Wachmännern und anderem Personal, Ausschau haltend nach wichtigen Leuten, als plötzlich eine Stimme an sein Ohr, in sein Bewusstsein drang, die sagte: »Hallo, Bruder.«
    John fuhr herum, suchte in den Gesichtern entlang seines Weges und entdeckte ihn endlich. »Lino?«
    »Überraschung«, meinte der mit schrägem Grinsen. Stand da einfach zwischen den anderen Sicherheitsleuten, in der Uniform der UN-Mannschaften, als ob er da hingehörte.
    »Lino…? Was tust du denn hier?«
    Lino klopfte mit der Hand auf die Revolvertasche an seinem Gürtel. »Die haben gemeint, ich sollte ein bisschen auf dich aufpassen.«
    »Du?« John schüttelte den Kopf. »Wieso das denn?«
    »Befehl ist Befehl. Letzten Samstag hab ich mir noch an der Bering-See den Arsch abgefroren und nichts geahnt von meinem Glück.«
    »Und wo hast du deinen Kampfjet gelassen?«
    Lino sah mit angespannten Lippen zu dem Vordach über ihnen hoch und zu der Reihe der Fahnenmasten mit den Flaggen aller Mitgliedsstaaten gegenüber. »Na ja«,
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