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Ein wilder und einsamer Ort

Ein wilder und einsamer Ort

Titel: Ein wilder und einsamer Ort
Autoren: Marcia Muller
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genügen.
    Sie reagierte nicht.
    Wer hätte es ihr verübeln können?
Sobald wir unten waren, würde ich sie in die Arme nehmen und trösten. Und die
dringend notwendige ärztliche Hilfe für Hy organisieren.
    Ich prüfte die Instrumente, sah wieder
auf den Bergkamm. Die Morgensonne verwandelte das streifige Braun des Felsgesteins
in Gold.
    Meine Spannung ließ etwas nach, aber
der Wüstensand klebte immer noch auf meiner Haut, überlagerte den
Tropenschweiß. Ich konzentrierte mich darauf, ihn zu fühlen, damit ich nicht
leichtsinnig wurde.
    Zu viel konnte auch jetzt noch
schiefgehen. Jeden Moment, wie die Ereignisse der letzten Tage bewiesen
hatten...
    Es fühlte sich an, als krachten wir
gegen eine Betonwand.
    Mein Magen bäumte sich auf, und eine
Panikwelle überschwemmte mich. Ich prüfte die Instrumente, während das Flugzeug
zitterte. Das Variometer zeigte an, daß wir rasch an Höhe verloren:
fünfzehnhundert Fuß pro Minute, sechzehnhundert... Als ich wieder aufsah,
neigte sich der Bergkamm grotesk schief und sprang dann plötzlich an den oberen
Rand der Windschutzscheibe. Ich sah nur noch eine zerklüftete Felswand.
    Abwind — einer von der üblen Sorte.
    Extreme Schönwetterturbulenzen; warum
zum Teufel hatte mich der Flugwetterdienst nicht gewarnt? Nicht, daß mir eine
andere Wahl geblieben wäre, als es trotzdem damit aufzunehmen...
    Ich sah wieder nach hinten. Hy war
immer noch ohnmächtig; von dieser Seite also keine Hilfe. Die Augen der Kleinen
waren geweitet, ihr Gesicht weiß. Aus Angst, daß jedes Wort nur meine Panik
verraten würde, versuchte ich, beruhigend zu lächeln, aber es wurde nichts.
    Okay, dachte ich. Du weißt, was du zu
tun hast. Du hast mindestens hundertmal zugeschaut, wie Hy mit Abwinden
umgegangen ist. Bleib ruhig und ändere den Kurs. Sieh zu, daß du von dieser
Bergkette wegkommst, über flacheres Terrain.
    Ich drehte ab. Eine weitere Bö traf uns
mit einem Schlag. Einen Moment lang zitterte die Beechcraft so heftig, daß ich
schon die Tragflächen abreißen sah.
    Zweitausend Fuß pro Minute, und immer
noch Sinkflug!
    Meine Stirn und meine Handflächen waren
schweißnaß. Ich umklammerte das Handrad, bemühte mich um Konzentration.
    »Dieser Gebirgsflugkurs«, sagte ich.
»Fliegen über dem Gebirge — was habe ich da gelernt?«
    Mein Hirn weigerte sich zu
funktionieren.
    O Gott! Wir sind so weit gekommen,
haben so viel überstanden.
    Zweitausenddreihundert.
    Das kann nicht sein! Ich kann doch
nicht auf diese Weise sterben. Zweitausendfünfhundert.
    Zerklüftete braune Gipfel unter uns.
Das sonnengoldene Kliff vor uns. Das letzte, was ich je sehen werde.
    Sonne, du Idiot! Sonnenbeschienene Bergflanken
erzeugen Thermik. Geh näher ran, nicht weiter weg.
    Finde einen Thermikschlauch, und du
kannst diese Kiste als Segler benutzen. Finde einen, und du kommst über den
Kamm.
    Ich begann, die Reaktion der Maschine
zu testen, schwenkte auf die Felswand zu.
    Himmelherrgott, McCone, finde einen
Thermikschlauch!

 
     
     
    Erster Teil
    Nordkalifornien

18.-22. Mai
     
     
     

1
    Ich kam gerade aus Adah Joslyns Büro im
Quartier der Diplobomber-Sonderkommission, als ich Gage Renshaw begegnete.
    Auf dem Weg zum Aufzug in dem
heruntergekommenen Nebenflügel des FBI-Gebäudes in der Eddy Street, sah ich ihn
von dem Trinkwasserbrunnen zurücktreten und ein paar Wassertropfen von seinem
zerknitterten blauen Schlips wischen. Auf dem Revers seines nicht minder
zerknitterten blauen Anzugs war ein dunkler Fleck, der gleichfalls Wasser sein
konnte, ebensogut aber auch Relikt einer irgendwann hastig verzehrten Mahlzeit.
Solche Dinge konnte Gage tagelang übersehen, aber mich bemerkte er natürlich
auf der Stelle. Seine dunklen Augenbrauen zuckten in die Höhe, und sein Mund
verzog sich zu einem Lächeln, das ihm etwas eindeutig Satanisches gab.
    »Oh, Sharon McCone«, sagte er. »Was
führt Sie hierher — oder soll ich raten?«
    »Hallo, Gage.« Ich nickte einigermaßen
freundlich und ging weiter. Das Gespräch mit Adah eben hatte mich aufgewühlt,
und ich war nicht in der Stimmung für ein Wortgefecht mit einem alten
Kontrahenten — nicht mal mit einem, dem ich die meisten seiner Sünden
inzwischen verziehen hatte.
    Renshaw trat vor mich hin und legte die
Hand über die Liftknöpfe. »Kleiner Besuch bei der Vertreterin der hiesigen
Polizei in der Sonderkommission?«
    Ich sah demonstrativ auf meine Uhr. Es
war erst kurz nach eins, und ich hatte eine größere Lücke in meinem Terminplan,
aber
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