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Ein wilder und einsamer Ort

Ein wilder und einsamer Ort

Titel: Ein wilder und einsamer Ort
Autoren: Marcia Muller
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Büros ein Sichtausweis bereit. Nicht, daß ich ihn oft
benutzt hätte; Hy nahm kaum je irgendwelche RKI-Einrichtungen in Anspruch, da
er lieber von seiner Ranch in Mono County oder von unserem gemeinsamen
Ferienhäuschen an der Küste bei Mendocino aus arbeitete. Jetzt war er gerade in
dem Häuschen, und ich hatte vor, übers Wochenende zu ihm zu fahren.
    Der Pförtner gab mir meinen Ausweis,
und ich steckte ihn ans Revers. »Mr. Renshaw ist im Projektorraum«, erklärte er
mir. »Sie kennen den Weg?«
    Ich nickte und ging durch eine
unbeschilderte Tür und dann einen langen weißen Flur hinunter.
    Renshaw wartete in der letzten
gepolsterten Sitzreihe auf mich, die Füße auf der Lehne vor sich wie ein
Teenager in einem Double-Feature. Ich war schon darauf gefaßt, daß er eine
fettfleckige Tüte Popcorn in den Händen halten würde. Wortlos bedeutete er mir,
mich neben ihn zu setzen; dann fummelte er an den Knöpfen der Bedienungskonsole
zwischen uns herum. Der Raum wurde dunkel, und die Leinwand schimmerte hell.
    Hier hatte ich schon einmal gesessen,
genau auf diesem Platz — an dem Tag, an dem er mir eröffnet hatte, daß er Hy
töten wollte. »Was dagegen, daß wir erst noch mal die Chronologie der Anschläge
durchgehen?« fragte er.
    »Kann wohl nichts schaden.«
    Ein Dia erschien auf der Leinwand: ein
großes, strenges Gebäude mit zerborstenen Fensterscheiben. Im Vordergrund lagen
Scherben und Schuttbrocken, und ein Wachposten starrte darauf, als versuchte er
zu ergründen, wo sie herkamen.
    Renshaw sagte: »Brasilianische
Botschaft, Washington. März neunzig. Die Bombe war in einem Päckchen,
aufgegeben auf einer Post in Washington. Keine Todesopfer, aber der
Angestellte, der das Päckchen öffnete, wurde verstümmelt.«
    Ein zweites Dia löste das erste ab. Es
zeigte ein einfaches Blatt Papier mit dem einen Satz: die rache ist mein. Der Schrifttyp war kursiv — Palatino
kursiv, um genau zu sein. Adah hatte mir erzählt, es handle sich um eine
gebräuchliche Marke von Aufreibbuchstaben, wie sie überall in den Staaten in
Künstler- und Bürobedarfsläden erhältlich waren.
    »Nicht besonders originell«,
kommentierte Renshaw, »aber sinnig. Das Schreiben wurde ebenfalls in Washington
aufgegeben und kam am Tag nach dem Anschlag bei der Botschaft an. Keine
Fingerabdrücke, nichts Auffälliges an Papier oder Umschlag.«
    »Auch nicht an dem, was von dem
Päckchen noch auffindbar war.«
    Das nächste Dia zeigte einen schwarzen
Lincoln Continental vor einem Restaurant namens Fino. Die Wagentüren waren
herausgefetzt. Eine Leiche im dunklen Anzug lag verrenkt auf dem Rücksitz; die
Beine ragten auf den blutigen Asphalt hinaus.
    Ich sagte: »Ebenfalls Washington,
August neunzig. Der Wagen gehörte dem saudi-arabischen Botschafter. Er und
einige seiner Attachés waren in dem Restaurant. Das Päckchen lag auf dem
Rücksitz; der Fahrer hat es offenbar bemerkt und näher inspiziert. Ein
Schreiben gleichen Inhalts in den gleichen Lettern auf dem gleichen Papier ging
am nächsten Tag in der Botschaft ein. Aufgegeben wiederum in Washington.«
    Renshaw ließ ein paar weitere Dias
langsam durchklicken. »Anschlag auf den Bürotrakt der pakistanischen Botschaft
im November desselben Jahres. Kein Todesopfer, am nächsten Tag dasselbe
Schreiben. Jetzt kommen wir nach New York.«
    Ein neues Dia: ein verwüstetes
Wohnzimmer. Große Spiegel an den Wänden waren zerborsten; ihre Scherben
reflektierten ein Chaos von kaputten Möbeln. Im Vordergrund stand eine
primitive Holzskulptur — geköpft.
    Ich sagte: »Luxusapartment, östliche
paarundachtzigste Straße, Wohnsitz eines Mitglieds der ghanaischen
UN-Delegation. Die Bombe war in einem Blumenkarton, der per Boten kam. Der Bote
wurde nie identifiziert, und sämtliche Angestellten der Blumenhandlung schieden
nach der Überprüfung als Verdächtige aus. Keine Todesopfer, aber das
Hausmädchen, das die Lieferung annahm, erlitt schwere Verletzungen.«
    »Januar einundneunzig, richtig?« sagte
Renshaw.
    »Richtig. Das übliche Schreiben ging am
nächsten Tag im ghanaischen UN-Büro ein, aufgegeben in Midtown Manhattan.«
    Renshaw ließ die Dias durchlaufen. »Der
Bombenleger hatte es auf die UNO abgesehen. Im Juni einundneunzig jagte er den
Wagen des Leiters der jemenitischen Delegation in die Luft, wobei der Sohn
eines niederen Chargen fürs Leben verkrüppelt wurde. Im Februar zweiundneunzig
Anschlag auf die Wohnung des mexikanischen UNO-Botschafters. Schwere
Sachschäden, aber
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