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Ein wilder und einsamer Ort

Ein wilder und einsamer Ort

Titel: Ein wilder und einsamer Ort
Autoren: Marcia Muller
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Er hatte erst
einmal über diesen Vorfall geredet, der seit beinahe zwanzig Jahren im dunkelsten
Winkel seiner Psyche fortlebte. Ich hatte gedacht, dieses Thema sei für
allezeit tabu.
    Er fuhr fort: »Du wußtest, daß du Hamid
ans Messer lieferst, genau wie ich damals diese Kambodschaner. Als Dan Kessell
plötzlich wollte, daß ich auf dem Rückflug von Chiang Mei dieses verlassene
Dorf an der Grenze anflog, war klar, was passieren würde. Ich habe mir
eingeredet, daß mir das nichts ausmachte, weil ich gut bezahlt wurde und weil
es nur miese, skrupellose Drogenschieber waren. Und als dann auf der Lichtung
einer von ihnen zu mir gerannt kam und mich um Hilfe anflehte, weil die anderen
miesen, skrupellosen Drogenschieber sie abschlachteten, habe ich ihm, ohne
nachzudenken, eine Kugel in den Kopf gejagt, damit die Kerle mit den Uzis
dachten, ich sei auf ihrer Seite. Erst hinterher hat es mir etwas ausgemacht.«
    In der intimen Enge der Maschine und
über Kopfhörer gewann dieses neuerliche Geständnis besondere Bedeutung. Ich
nickte, dachte darüber nach, sah die Parallelen.
    Er setzte hinzu: »Laß einfach los, McCone.«
    Unter uns wich das Ackerland den
Vorbergen der Küstenkette, als ich jetzt Kurs auf die South Bay nahm, um von da
noch ein kurzes Stück den Festlandssockel hinaufzufliegen. Meine Gedanken
drifteten voraus — Anfang Juni in Bootlegger’s Cove, Nebelspaziergänge am
Strand und Liebe in der Holzfeuerwärme vor dem Kamin. Hinter San José fragte Hy
plötzlich: »Sag mal, hat Renshaw eigentlich eure Zehnfache-Kohle-Wette
eingelöst?«
    »Na ja, er hat mir das volle Honorar
gezahlt und eine Prämie dafür, daß ich RKI vor einem größeren Schlamassel
bewahrt habe — wieder einmal. Aber was unsere Wette angeht, hat er gekniffen.«
    »Willst du, daß ich ein Rollkommando
losschicke?«
    »Nein, ich verzeih’s ihm. Die Belohnung
ist schon genug; ich glaube wirklich nicht, daß ich in der Lage bin, noch mehr
Geld zu handhaben.«
    »Unterschätz dich nicht.«
    »Hey, gerade fällt mir etwas ein. Guck
dir mal diesen Ausschnitt aus dem gestrigen Examiner an, der im
Seitenfach meiner Tasche steckt. Das wird dich sicher interessieren.«
    Ich konnte seiner Lektüre anhand der
überraschten und anerkennenden Laute in meinem Kopfhörer folgen. Ich hatte die
Agenturmeldung, die auf einer der hinteren Seiten unter anderen erstaunlichen
Begebenheiten aus aller Welt gestanden hatte, nahezu wörtlich im Kopf. Marigot,
stand da fettgedruckt als Ortsangabe, und die Überschrift lautete: BIZARRER
UNFALL KOSTET DEUTSCHEN DAS LEBEN.
     
    Der
auf der Leeward-Insel Jumbie Cay wohnhafte Deutsche Klaus Schechtmann kam am
späten Sonntag nachmittag ums Leben, als sich aus der antiken Kanone eines
Nachbarn versehentlich ein Schuß löste.
    Schechtmann,
43, war Eigentümer der selbständigen Insel. Er wollte gerade seinen Nachbarn
Zebediah Altagracia, 76, besuchen, als sich dessen musealer Mörser aus dem
amerikanischen Revolutionskrieg beim Reinigen plötzlich entlud. Schechtmann war
auf der Stelle tot.
    Altagracia,
eine lokale Berühmtheit, da er 1971 die bis dahin britische Insel mit Erfolg
für unabhängig erklärte, war nach eigener Darstellung gerade dabei, die Kanone
für die Feier des amerikanischen Memorial Day am Montag zu präparieren.
    »Wir
feiern hier so gut wie alle patriotischen Gedenktage dieser Welt«, erklärte Mr.
Altagracia der Presse, »besonders die, die an die Befreiung von Unterjochung
erinnern. Ich habe vor, den heutigen Tag Klaus Schechtmanns Andenken zu widmen.
Er war ein feiner Mensch, dem diese Insel und ihre Bewohner zutiefst am Herzen
lagen. Ich spreche wohl für uns alle, wenn ich sage, wir werden ihn schmerzlich
vermissen.«
    Die
Untersuchung des Falls durch Interpol ist noch nicht abgeschlossen, aber aus
zuverlässigen Quellen verlautet, die Wahrscheinlichkeit der Anklageerhebung sei
gering.
     
    Hy pfiff leise durch die Zähne. »Ich
kann nur sagen, vive la révolution.«
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