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Ein wilder und einsamer Ort

Ein wilder und einsamer Ort

Titel: Ein wilder und einsamer Ort
Autoren: Marcia Muller
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müssen
meine Kontakte zur Sonderkommission dringend brauchen. Und zwar nicht, weil
Sie, wie Sie sich auszudrücken belieben, hinter dieser Million hergeifern.«
    Er zögerte. »Okay, nicht deshalb. Aber
kommen Sie trotzdem in die Firma. Was haben Sie schon zu verlieren?«
    »Nur meine Selbstachtung.«
    »Kein großer Verlust.«
    »Danke vielmals.« Aber er hatte mich
schon geködert. »In einer halben Stunde kann ich da sein. Aber vergessen Sie
nicht — ich schulde Ihnen nichts.«
    »Noch nicht jedenfalls.«
     
    Während der Fahrt zum RKI-Büro an der
Green Street, zwischen dem Telegraph Hill und dem Embarcadero, dachte ich an
mein Gespräch mit Adah Joslyn.
    Als ich ankam, hatte meine Freundin
über ihrem chaotischen Schreibtisch gehangen, einen Bleistift durch die dicken
dunklen Locken gepiekt, die honigbraune Stirn in mißmutige Falten gelegt.
Selbst an einem offensichtlich schlechten Tag schaffte sie es noch, chic
auszusehen. Ihre maßgeschneiderte Uniform war daran natürlich nicht
unbeteiligt, aber Adah konnte auch im Jogging-Anzug elegant wirken. Diese
Eleganz erwuchs aus einer Kombination von inneren Eigenschaften: Gelassenheit,
Selbstvertrauen, Durchsetzungsfähigkeit, ihrer Art, der Welt mit ruhigem,
offenem Blick zu begegnen.
    Als vor einigen Jahren der damalige
Polizeichef mit Beschwerden überschwemmt worden war, daß die personelle
Struktur der Polizei nicht die des Gemeinwesens widerspiegle, dem sie diene,
war ihm Joslyn mit ihren fünfzehn Dienstjahren beim Police Department von San
Francisco als leibhaftige Antwort auf seine Gebete erschienen. Um sich die
Medien, den Bürgermeister und diverse Bürgergruppierungen vom Hals zu schaffen,
hatte er überall nach einer Minderheitsangehörigen gefahndet, die er in eine
Position mit hohem Sichtbarkeitsgrad hieven konnte, und in Adah hatte er sie
gefunden. Sie war nicht nur halb afrikanisch-amerikanischer und halb jüdischer
Abstammung, sondern außerdem eine hervorragende und mehrfach ausgezeichnete
Polizistin. Nach ihrer Aufnahme in die elitäre Mordkommission hatte sie rasch
bewiesen, daß sie mehr war als nur eine Alibifigur, und schon bald hatten ihr
auch ihre erbittertsten Gegner Respekt und Bewunderung gezollt.
    Vor einem Monat war Adah als eine von
zwei hauptamtlichen Vertreterinnen des Department in die neugebildete
Diplobomber-Sonderkommission entsandt worden. Hier suchte sie nun zusammen mit
Beamten des FBI, des ATF 1 und der Postbehörde nach der Person, die Sprengstoffanschläge auf zwei
ausländische Botschaften in Washington, zwei Diplomatenfahrzeuge, zwei
Wohnungen von UN-Delegierten in New York und zwei Konsulate hier in San Francisco
verübt hatte. In den letzten drei Jahren hatte der Bomber drei Menschen getötet
und drei weitere schwer verletzt. Der Druck der amerikanischen Regierung und
diverser ausländischer Staaten auf die Polizei war enorm.
    Vor allem heute mußte dieser Druck
deutlich zu spüren gewesen sein; Adahs Miene hellte sich nicht auf, als sie
mich sah. Sie wies mit einer Handbewegung auf ihren Schreibtisch und sagte:
»Schau dir diesen ganzen Mist an.«
    Ich musterte die verschiedenfarbigen
Stapel von Anrufsnotizen. »Telefonische Hinweise?«
    »Die verdammte Hotline ist total
überlastet. Ein Anrufer hat erzählt, er hänge schon fünfzig Minuten in der
Warteleitung.«
    »Irgendwas Brauchbares dabei?«
    »Wer weiß?« Sie zeigte auf den dicksten
Stapel — blau, mit einem Bürohefter beschwert. »Das hier sind die echten
Spinner — die behaupten, der Bomber sei ein Außerirdischer oder Elvis oder der
Geist ihrer toten Schwiegermutter, die immer schon eine Ausländerhasserin war.
Der rosa Stapel — das sind Leute, die sich anhören, als wollten sie jemandem
eins auswischen, ihrem Chef oder einem Familienmitglied oder ihrem Nachbarn.
Aber nachgehen müssen wir dem trotzdem. Die weißen hier« — sie tippte auf einen
dritten Stapel — »das sind, wenn du so willst, die Theoretiker. Sie sind cool,
logisch, halten überzeugende Vorträge und sind sich ihrer Sache völlig sicher.
Meistens irren sie sich, aber es kann ja doch mal ein Quentchen Wahrheit dran
sein, das vielleicht zu einem Durchbruch führt. Und dieser gelbe Stapel — das
sind die, deren Hirn bei der Sondersendung plötzlich zu rattern anfing, Leute,
die irgendwann mal irgend etwas Verdächtiges bemerkt haben wollen, was ihnen
aber erst jetzt wieder eingefallen ist.«
    »Und die grünen?«
    »Dringlichkeitsstufe eins. Verdächtige
Anrufe. Unsere Leute, die
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