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Ein wilder und einsamer Ort

Ein wilder und einsamer Ort

Titel: Ein wilder und einsamer Ort
Autoren: Marcia Muller
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nach dem ersten
Anschlag in Washington erhalten?« fragte ich.
    »Ja. Und nach jedem folgenden
Anschlag.« Er ließ die Dias der verschiedenen Schreiben rasch durchklicken.
    Seltsam. Laut Adahs Akten hatte keine
der diplomatischen Vertretungen, auf die Anschläge verübt worden waren, etwas
von derartigen Warnungen verlauten lassen. Aber die Azadis ja auch nicht. »Sind
diese Schreiben ausschließlich an das Konsulat gegangen oder auch an andere
azadische Vertretungen?«
    »Nur an das hiesige Konsulat.« Renshaw
schaltete den Projektor aus; die Leinwand wurde dunkel.
    »Okay«, sagte ich, »und was hat RKI mit
den Azadis zu tun?«
    »Wir sorgen für ihre Sicherheit, hier
in San Francisco und in New York.«
    »Wieso das?«
    »Sie haben mitgekriegt, wie wir Ende
der achtziger Jahre für eine amerikanische Firma, die in ihrer Hauptstadt
residiert, eine kritische Situation bereinigt haben, und sie waren beeindruckt.
Als diese Schreiben kamen, beschlossen sie, in ihren drei Vertretungen hier in
den USA die Sicherheitsmaßnahmen zu verstärken, und daher haben sie sich an uns
gewandt.«
    »Haben sie auch die Polizei
eingeschaltet?«
    »Nein. Mrs. Hamid hat eine Aversion
gegen negative Publicity, und außerdem hat die Polizei ja in den anderen Fällen
auch nichts gegen die Anschläge ausgerichtet.«
    »Und wer ist diese Mrs. Hamid?«
    »Malika Hamid, die hiesige
Generalkonsulin.«
    »Eine Frau als Generalkonsul?
Ungewöhnlich für ein arabisches Land.«
    »Wie gesagt, sie sind progressiv.«
    Ich dachte einen Moment nach. »Glauben
Sie wirklich, daß sie sich nur deshalb nicht an die Polizei gewandt haben, weil
Mrs. Hamid keine schlechte Presse wünscht?«
    Er zuckte die Achseln.
    »Das muß doch noch andere Gründe
haben.«
    »Falls dem so ist, hat uns niemand
davon in Kenntnis gesetzt.«
    »Und Sie haben nicht gefragt?«
    »Es gehört nicht zu unserem
Geschäftsgebaren, die Motive unserer Klienten zu hinterfragen. Was nicht heißt,
daß ich es nicht gern wüßte, und das ist genau der Punkt, an dem Sie...«
    In Renshaws Brusttasche legte ein
Piepser los. Er nahm ihn heraus, ging zu einem Wandapparat neben der Tür und
sprach kurz, wobei er mir den Rücken zukehrte. Als er wieder einhängte und sich
umdrehte, fragte er knapp: »Was ist, Sharon? Sind Sie nun dabei oder nicht?«
    Sein Schluß-mit-dem-Herumgerede-Ton
sagte mir, daß etwas passiert war. Ich stand auf. »Ja, ich bin dabei.«
    »Dann kommen Sie mit.«
    »Wohin?«
    »Zum azadischen Konsulat. Ein
Anschlagsversuch. Jemand von unseren Leuten wurde verletzt.«
     
     
     
     

2
    Die Polizei hatte die Jackson Street
zwischen Octavia und Laguna Street abgesperrt, also parkten wir um die Ecke.
Die Straße stieg steil an, aber Renshaw vergaß, die Räder einzuschlagen und die
Handbremse des braun-grauen RKI-Mobils anzuziehen. Als er ausstieg, rollte der
Kastenwagen rückwärts. Ich griff nach der Handbremse, zog sie an und drehte das
Lenkrad nach links. Mit einem reuigen Kopfschütteln gestand Renshaw seinen
Fehler ein. Als wir den Bürgersteig entlanggingen, murmelte er: »Dan hätte sich
den Arsch abgelacht — und mich den Schaden aus eigener Tasche bezahlen lassen.«
    »Sie waren in Gedanken.« Ich
beschleunigte meinen Schritt, um mit ihm mitzuhalten. »Dafür hätte Kessell
sicher Verständnis.«
    »Das ist keine Entschuldigung — ich
würde es auch nicht gelten lassen. Dan und ich kennen keine Fehlertoleranz.«
    Bei ihrer Vergangenheit war das
verständlich. Renshaw war bei der Centac gewesen, der einstigen Eliteeinheit
der Drogenbehörde DEA in Südostasien. Nach deren Auflösung Mitte der achtziger
Jahre war er in Indochina abgetaucht und einige Jahre später als reicher Mann
wieder aufgetaucht; ich hatte mich nie getraut, ihn nach dieser Phase seines
Lebens zu fragen. Ich wußte, daß er vorher, in den Siebzigern, Provision dafür
kassiert hatte, wichtige Leute, die sich samt ihrem Vermögen aus den
kriegsgebeutelten asiatischen Ländern absetzen wollten, einer Charter-Fluglinie
zuzuführen, die Dan Kessell von Bangkok aus betrieb. Hy — der nach einem
Wiederaufflackern seines Kindheitsasthmas seinen Abschied von den Marines hatte
nehmen müssen — war einer von Kessells Piloten gewesen; wegen der Aktionen und
Erlebnisse in dieser turbulenten und traumatischen Zeit hatte er sich fast
zwanzig Jahre mit Schuldgefühlen herumgeschlagen. Nicht so Kessell; bei ihm
hatte das alles keinerlei Spuren hinterlassen. Er war, wie Hy sagte, immer noch
derselbe
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