Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Ein Tropfen Zeit

Titel: Ein Tropfen Zeit
Autoren: Daphne DuMaurier
Vom Netzwerk:
mich, wie ich wohl ausgesehen haben mochte, wenn jemand beobachtet hätte, wie ich über die Felder unten am Hügel entlanggegangen und den Heckenpfad nach Tywardreath hinaufgestiegen war. Denn daß ich dort gewesen war, stand für mich fest. Die schmutzigen Schuhe, die zerrissene Hose und mein feuchtkaltes, durchschwitztes Hemd – das kam nicht von einem gemächlichen Spaziergang auf den Klippen.
    Nachdem Übelkeit und Schwindel nachgelassen hatten, ging ich langsam die Hintertreppe zum Hausflur hinauf. Ich betrat den Gang, in dem Magnus Ölmäntel, Stiefel und seine übrige Wetterkleidung aufbewahrte, und starrte mich im Spiegel über dem Waschbecken an. Ich sah ziemlich normal aus. Ein bißchen weiß um die Nase, sonst nichts. Vor allem brauchte ich jetzt einen kräftigen Schluck Alkohol. Doch dann fiel mir ein, daß Magnus gesagt hatte: »Rühr mindestens drei Stunden, nachdem du die Droge genommen hast, keinen Alkohol an, und auch danach nur mit Vorsicht.« Tee würde nur ein armseliger Ersatz sein, aber vielleicht half er, und so ging ich in die Küche, um mir eine Tasse Tee zu machen.
    Diese Küche war früher in Magnus' Kindheit das Familienspeisezimmer gewesen; er hatte es in den letzten Jahren umgebaut. Während ich wartete, daß das Wasser im Kessel kochte, sah ich durch das Fenster in den Hof hinab. Er war gepflastert und von alten, moosbewachsenen Mauern eingefaßt. Magnus hatte vor einiger Zeit in einer Anwandlung von Begeisterung versucht, ihn in einen ›Patio‹ umzuwandeln, in dem er nackt herumlaufen konnte, falls er hier jemals eine Hitzewelle erleben sollte. Er erzählte mir, seine Mutter habe nie etwas an der Umfriedung getan, weil sie vor den damaligen Küchenräumen lag.
    Ich betrachtete den Innenhof nun mit anderen Augen. Unmöglich, mir ins Gedächtnis zurückzurufen, was ich noch vorhin gesehen hatte – den schmutzigen Hof mit dem Kuhstall daneben und den Pfad, der in das Gehölz weiter oben führte. Mich selbst, wie ich dem Reiter durch den Wald folgte. War das Ganze eine durch die höllische Mixtur hervorgerufene Halluzination gewesen? Während ich mit der Teetasse in der Hand zur Bibliothek hinüberging, begann das Telefon von neuem zu läuten. Ich vermutete, daß es Magnus sei, und ich hatte recht. Seine Stimme, kurz und energisch wie immer, half mir mehr als der Alkohol, den ich nicht trinken durfte, und auch mehr als der Tee. Ich warf mich in einen Stuhl und bereitete mich auf ein langes Gespräch vor.
    »Ich versuche schon seit Stunden, dich zu erreichen«, sagte er. »Hast du vergessen, daß du mir versprochen hattest, mich um halb vier anzurufen?«
    »Ich hatte es nicht vergessen«, sagte ich. »Aber ich war anderweitig beschäftigt.«
    »Das dachte ich mir. Na und?«
    Ich genoß diesen Augenblick. Ich wünschte, ich könnte ihn weiter im unklaren lassen. Dieser Gedanke gab mir ein angenehmes Machtgefühl. Aber ich wußte, daß ich es ihm sagen mußte.
    »Es hat geklappt«, sagte ich. »Ein hundertprozentiger Erfolg.«
    Ich erkannte am Schweigen am anderen Ende der Leitung, daß diese Mitteilung gänzlich unerwartet kam. Er hatte also mit einem Mißerfolg gerechnet. Seine Stimme klang jetzt leiser, als spräche er mit sich selbst.
    »Ich kann es kaum glauben«, sagte er. »Das ist großartig …« Und dann, indem er wie immer die Führung übernahm: »Hast du es genauso gemacht, wie ich dir sagte, und alle Anweisungen befolgt? Erzähl mir von Anfang an … Aber Moment mal … ist auch alles in Ordnung?«
    »Ja«, antwortete ich, »ich glaube schon, außer daß ich hundemüde bin, mich in die Hand geschnitten habe und eine Weile völlig erledigt im Heizungsraum saß.«
    »Das sind Kleinigkeiten, mein Junge; es ist einem oft übel danach, aber das geht vorbei. Nun weiter, weiter.«
    Seine Ungeduld steigerte meine Aufregung, und ich wünschte, er säße im Zimmer neben mir, anstatt fünfhundert Kilometer entfernt.
    »Zuerst einmal«, sagte ich und amüsierte mich dabei, »habe ich noch nie etwas so Makabres gesehen wie dein sogenanntes Labor. Blaubarts Zimmer wäre eine passendere Bezeichnung dafür. All die Embryos in den Gefäßen und der abscheuliche Affenkopf …«
    »Ausgezeichnete Exemplare und sehr nützlich«, unterbrach er mich. »Aber komm nicht vom Thema ab. Ich weiß, wozu sie gut sind, du aber nicht. Erzähl, was passierte.«
    Ich nahm einen Schluck von meinem Tee, der schon ziemlich kalt war, und setzte dann die Tasse ab.
    »Ich fand die Flaschen in einem
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher