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Todeserklärung

Todeserklärung

Titel: Todeserklärung
Autoren: Klaus Erfmeyer
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    Rechtsanwalt Stephan Knobel saß an jenem regenverhangenen Montagmorgen Anfang Februar seit bereits über zwei Stunden tatenlos hinter seinem Schreibtisch, als seine Sekretärin die Tür zu seinem Büro einen Spalt weit öffnete, ihren Kopf hineinsteckte und über die Gläser ihrer Lesebrille spähte. Sie sah die leere große Schreibtischplatte, dahinter die ausdruckslose Miene ihres Chefs und seine ungewöhnlich blasse Gesichtsfarbe.
    »Ein neuer Mandant«, meinte sie unsicher, »er hat zwar keinen Termin, aber er sagt, es sei wichtig. – Übernehmen Sie ihn?«
    Frau Klabunde trat nun ganz in sein Büro und schloss leise hinter sich die Tür.
    »Herr Knobel?«
    Ihr Tonfall verriet gleichermaßen Fürsorge und Neugier.
    »Sie gefallen mir heute gar nicht. Ist Ihnen nicht gut?«
    Sie hielt inne, hätte natürlich gerne insistiert und sich als geduldige Zuhörerin empfohlen. Stattdessen schwieg sie erwartungsvoll, hielt gebührliche Distanz und signalisierte zugleich, dass sie nicht eher gehen werde, bis sie eine befriedigende Antwort erhalten hatte. Frau Klabundes fülliger Körper stand wie eine Statue in seinem Büro.
    »Es ist nichts«, log er. »Wie heißt der Mandant?«
    Seine Stimme klang leise und klang gereizt.
    Frau Klabunde überging seine Frage.
    »Sie können mir nichts vormachen, Herr Knobel. Ich kenne Sie zwar noch nicht sehr lange, aber eine Frau hat dafür ein Gespür.«
    Wie immer, wenn nach ihrem Eindruck etwas nicht stimmte, brachte sie ihr frauliches Empfinden ein, diente sich als Freundin an, ohne Freundin sein zu wollen.
    Knobel nickte.
    Tatsächlich hatte Frau Klabunde ein Gespür für alles, was nicht alltäglich war. Frau Klabunde hatte bereits Witterung aufgenommen, als er heute Morgen durch ihr Sekretariat geeilt, sie nur knapp begrüßt, sich jeglicher Nachfrage nach dem vergangenen Wochenende enthalten und sofort die Tür zu seinem Büro hinter sich geschlossen hatte. Doch Knobel schwieg. Sicher, er hätte so tun können wie nach jedem Wochenende. Er hätte launig in Frau Klabundes Sekretariat treten und berichten können, was er mit seiner Frau Lisa am Wochenende unternommen hatte, wie sich das sechs Monate alte Töchterchen Malin entwickelte und er hätte seinem Kurzbericht die Frage anschließen können, ob Frau Klabundes Wochenende angenehm gewesen sei. Sie hätte dies und das geantwortet. Voll wäre ihr Wochenende gewesen, wie jedes andere auch. Unverheiratete sind stets sehr aktiv, und Knobel hätte vielleicht noch ein oder zwei Details nachgefragt, pflichtschuldig ihre Antwort abgewartet und wäre mit den ritualhaften Worten Dann wollen wir mal wieder … in sein Büro gegangen.
    Knobel hatte diesen Brauch heute vermieden.
    Nicht, dass er diesen nicht mochte. Er hatte Frau Klabunde zu schätzen gelernt, mochte sie samt ihrer Eigenheiten und bediente ihre Erwartungen und Eitelkeiten, wie sie umgekehrt auch. Vor knapp eineinhalb Jahren war sie seine Sekretärin geworden, nachdem der Kollege Dr. Reitinger, dessen Mitarbeiterin sie gewesen war, infolge eines Herzinfarkts verstorben und Knobel innerhalb kürzester Zeit der ›Karrieresprung‹ gelungen war, zum Vizechef der Kanzlei aufzusteigen und das Büro des verstorbenen Kollegen zu beziehen. Knobels Karriere spiegelte sich in Frau Klabundes sichtbarem Wohlbehagen. Als Sekretärin des namensgebenden Partners der Kanzlei war sie selbst an herausgehobener Position angelangt. Ihre meist jüngeren Kolleginnen, die den anderen Anwälten zuarbeiteten, gerieten in ihren Schilderungen hin und wieder zu den jungen Mäusen aus den anderen Etagen, wenn sie blumig ihren eigenen Einsatz pries und mit dem Pfund ihrer langjährigen Erfahrung wucherte.
    Als Knobel weiterhin schwieg, kapitulierte sie.
    »Pakulla«, sagte sie, »der Mandant heißt Gregor Pakulla.«
    Knobel nickte teilnahmslos.
    »Einen kleinen Moment noch. Ich hole ihn gleich rein.«
    Frau Klabunde verließ sein Büro
    Warum hätte er ihr sagen sollen, dass Lisa ihm heute Morgen gesagt hatte, dass sie sich von ihm trennen werde. Sie habe lange gespürt, dass das Gefühl verloren gegangen sei. Und jetzt sei sie sich des Verlustes sicher. Sie habe es ihm sagen müssen, jetzt, nicht irgendwann später, in einem geeignet erscheinenden Moment. Und sie hatte hilflos gefragt:
    »Wann ist für so was schon der geeignete Moment?«
    Lisa hatte nervös und dennoch erleichtert gewirkt, dass sie ausgesprochen hatte, was sie belastete.
    »Wir reden heute Abend«, hatte sie schulterzuckend
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