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Todeserklärung

Todeserklärung

Titel: Todeserklärung
Autoren: Klaus Erfmeyer
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herrschaftlich, seriös – vielleicht auch mächtig. Ganz sicher erfolgreich. So vornehm residiert hier niemand in der näheren Umgebung!«
    Knobel nahm die Komplimente entgegen und merkte zugleich, dass Herr Pakulla sie kalkuliert eingestreut hatte. Mandantengespräche begannen oft mit ungelenken Worten, die die Fremdheit zwischen Anwalt und Mandant schlagartig überwinden, hastig eine Ebene der Vertrautheit planieren sollten, auf der man sich mitteilen konnte. Manchmal waren diese Mandantenworte vorauseilendes Lob, das des Anwalts vollen Einsatz gerade auch in diesem Fall einfordern sollte, manchmal auch nur ein vom Mandanten kreiertes Wunschbild, das seine Unsicherheit verdrängen und ihn in dem Glauben bestärken sollte, den richtigen Schritt getan zu haben. Doch Knobel war sich sicher, dass Gregor Pakulla mit seinen schmeichelnden Worten keine Unsicherheit vertreiben wollte. Pakulla hatte die Kanzlei Dr. Hübenthal & Knobel gezielt aufgesucht. Mächtig und erfolgreich – das waren Attribute, die ihn angezogen hatten. Pakullas hastige Blicke zu Beginn des Gesprächs waren allzu schnell verflogen. Nun saß er ruhig und ein wenig lauernd vor Knobel. Pakulla, der nach einem Termin beim Amtsgericht die Straßen im Osten der Dortmunder Innenstadt nach einer geeigneten Kanzlei abgesucht hatte, war nicht zaudernd vor dem Gebäude stehen geblieben, das auf den einen eher protzig und auf den anderen eher einschüchternd wirkte. Gregor Pakulla suchte genau diese Kulisse!
    »Wir sind ein Team von Anwälten«, erklärte Knobel leidenschaftslos und in einem Tonfall, der verriet, dass er diese Worte dutzendfach zu Beginn eines Gesprächs benutzt hatte. Doch bevor er weiter ausführen konnte, warf Pakulla ein:
    »Ich weiß: acht Anwälte, vier Anwältinnen. So stehts draußen auf dem Kanzleischild. Fünf davon sind Sozien, und Sie sind die Nummer Zwei der Kanzlei. – Ich habe im Wartezimmer Ihre Kanzleibroschüre gesehen.«
    »Was kann ich für Sie tun, Herr Pakulla?«, wiederholte Knobel.
    Sein Mandant lächelte verlegen.
    »Natürlich, es ist fast ungehörig von mir, unangemeldet zu erscheinen und dann mit Gerede Ihre kostbare Zeit zu stehlen.«
    Er sammelte sich.
    »Es ist eigentlich kein Rechtsfall«, begann er zögerlich und registrierte dankbar Knobels aufmunterndes Nicken.
    »Ich habe hier in Dortmund einen Bruder, Sebastian Pakulla. Sebastian ist drei Jahre jünger als ich, also 38. Unsere Eltern sind schon seit Jahren tot. Es gibt auch sonst keine Verwandten – außer unserer Tante, Esther van Beek. Sie ist vor rund drei Wochen gestorben. Tante Esther lebte zuletzt im Wohnstift Augustinum in Kirchhörde. Die letzten Jahre war sie blind und völlig auf fremde Hilfe angewiesen, aber sie gab sich nach wie vor so, wie jedes Kind sich seine Lieblingstante vorstellt. Ich will damit sagen, dass sie für mich nicht so etwas wie eine Lieblingstante war. Die Einzelheiten tun hier noch nichts zur Sache. Mitte Februar wäre die alte Dame 85 Jahre alt geworden. Nun, da Esther tot ist, sind wir beiden Neffen die einzigen Erben.«
    Knobel hatte während Pakullas Schilderung auf einem Blatt flüchtig die Namen notiert und mit Strichen ihre Beziehung zueinander skizziert.
    »Esther van Beek war die Schwester Ihres Vaters oder Ihrer Mutter?«, fragte er geschäftsmäßig.
    »Esther war die einzige Schwester meines Vaters Heinrich Pakulla.«
    »Und Ihre Mutter hieß …?«
    Knobel blickte fragend von seiner Skizze auf.
    »Edeltraud Pakulla, geborene Grabowski«, erklärte der Mandant und ergänzte, als müsse er den Namen Grabowski entschuldigen:
    »Einzig unsere Tante Esther hat mit ihrer Heirat einen wirklichen sozialen Aufstieg geschafft. Sie hat kurz nach dem Krieg den holländischen Unternehmer Johann van Beek kennengelernt und sich nach Utrecht verheiratet. Vielleicht haben Sie seinen Namen schon mal gehört?«
    Knobel verneinte knapp und vervollständigte seine Skizze.
    »Nach Johanns Tod war Esther seine Alleinerbin und ist dann wieder nach Dortmund zurückgekommen«, fuhr Pakulla fort. »Sie ist in Holland nie richtig heimisch geworden.«
    »Und Ihre Eltern sind bereits vorverstorben?«, wiederholte Knobel fragend Pakullas eigene Aussage.
    »Vor Jahren schon, durch einen Unfall. – Kommorienten , wie man dazu sagt.«
    Knobel stutzte. Der Begriff Kommorienten bezeichnete den zeitlich zusammenfallenden Tod mehrerer Menschen. Pakulla hatte den Begriff ohne Zweifel richtig gebraucht. Aber niemals würde man dies so sagen.
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