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Ein Tropfen Zeit

Titel: Ein Tropfen Zeit
Autoren: Daphne DuMaurier
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brauche Ruhe«, sagte er, »alle erdenkliche Ruhe, damit ich für den Empfang des Bischofs klar im Kopf bin. Hast du schon davon gehört?«
    »Es gibt immer Gerüchte«, antwortete der Reiter.
    »Das war aber kein Gerücht. Sir John hat mir gestern Bescheid geschickt. Der Bischof ist schon von Exeter aufgebrochen; er wird am Montag hier sein und erwartet, daß wir ihn gastlich aufnehmen, wenn er von Launceston kommt und eine Nacht bei uns verbringt.«
    Der Reiter lächelte. »Der Bischof hat sich für seinen Besuch genau die richtige Zeit ausgesucht. Martinstag – da gibt es frisch geschlachtetes Fleisch zum Abendessen. Er wird mit vollem Bauch einschlafen, und Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen.«
    »Keine Sorgen zu machen?« Die verdrießliche Stimme des Priors überschlug sich. »Meinst du denn, ich könnte meinen widerspenstigen Haufen bis dahin zur Räson bringen? Was für einen Eindruck wird der übereifrige neue Bischof haben, der die ganze Diözese reinfegen will?«
    »Eure Mönche werden sich schon fügen, wenn Ihr ihnen eine Belohnung für schickliches Verhalten versprecht. Erhaltet Euch die Gunst Sir John Carminowes, das ist die Hauptsache.«
    Der Prior bewegte sich unruhig unter seinen Decken. »Sir John läßt sich nicht leicht zum Narren halten. Er mag zwar unser Schutzherr sein, aber er wird mir nicht beistehen, wenn es nicht auch seinen Interessen dient.«
    Der Reiter hob einen Knochen auf und gab ihn dem Hund. »Bei dieser Gelegenheit«, sagte er, »hat Sir Henry als Gutsherr den Vorrang vor Sir John. Er wird Euch nicht das Büßergewand anlegen und in Ungnade stoßen. Ich wette, er liegt jetzt in der Kapelle auf den Knien.«
    Der Prior lachte nicht. »Als Sir Henrys Verwalter solltest du mehr Achtung vor ihm haben«, bemerkte er und fügte nachdenklich hinzu: »Henry de Champernoune ist ein besserer Gottesmann als ich.«
    Der Reiter lachte. »Der Geist ist willig, Pater Prior – aber das Fleisch?« Er tätschelte den Kopf des Windhundes. »Am besten reden wir nicht mehr vom Besuch des Bischofs oder vom Fleisch.« Er richtete sich auf. »Das französische Schiff liegt vor Kylmerth. Es wird noch zwei Fluten lang dort sein. Wollt Ihr mir Briefe mitgeben?«
    Der Prior schob die Decken zurück und kletterte aus dem Bett. »Warum im Namen des heiligen Antonius hast du mir das nicht gleich gesagt?« schrie er und wühlte in den Papieren auf der Bank neben sich. Er bot einen ziemlich jämmerlichen Anblick – im Hemd, die dürren Beine mit geschwollenen Venen wie Krampfadern bedeckt, die Füße schmutzig mit krummen Zehen. »In diesem Durcheinander kann man einfach nichts finden«, jammerte er. »Warum sind meine Papiere nie in Ordnung? Warum ist Bruder Jean nie hier, wenn ich ihn brauche?«
    Er griff nach einer Glocke, die auf der Bank stand, läutete und schrie den Reiter wütend an, weil dieser schon wieder lachte. Fast im gleichen Augenblick erschien ein Mönch. Nach seinem raschen Eintritt zu urteilen, mußte er an der Tür gelauscht haben. Er war jung, hatte dunkles Haar und auffallend leuchtende Augen.
    »Zu Diensten, Pater«, sagte er auf französisch. Bevor er auf den Prior zuging, wechselte er einen Blick mit dem Reiter.
    »Komm her und vertrödle keine Zeit«, sagte der Prior gereizt und wandte sich wieder der Bank zu.
    Während der Mönch an dem Reiter vorbeiging, murmelte er diesem ins Ohr: »Die Briefe bringe ich dir später am Abend und weise dich dann auch weiter in die Kunst ein, die du lernen willst.«
    Der Reiter verneigte sich spöttisch und schritt zur Tür. »Gute Nacht, Pater Prior. Laßt Euch nicht um Euren Schlaf bringen wegen des bischöflichen Besuchs!«
    »Gute Nacht, Roger, gute Nacht. Gott sei mit dir.«
    Als wir gemeinsam das Zimmer verließen, rümpfte der Reiter die Nase und zog eine verächtliche Grimasse. Zu der muffigen Luft im Zimmer des Priors war jetzt ein zusätzliches Aroma, ein Parfumhauch von der Kutte des französischen Mönchs gekommen.
    Wir gingen die Treppe hinunter, aber bevor der Reiter durch den Flur zurückkehrte, blieb er einen Augenblick stehen und öffnete dann eine andere Tür. Sie führte in die Kapelle, in der die Mönche, die sich mit dem Novizen vergnügt hatten, jetzt beteten, oder vielmehr so taten, als beteten sie. Sie hatten die Augen niedergeschlagen, und ihre Lippen bewegten sich. Außer ihnen sah ich vier andere Mönche, die nicht im Hof gewesen waren; zwei von ihnen schliefen im Chorgestühl. Der Novize kauerte auf den Knien und
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