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Ein Tropfen Zeit

Titel: Ein Tropfen Zeit
Autoren: Daphne DuMaurier
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setzten uns auf die Fensterbank und blickten auf das Meer hinaus.
    »Erzählen Sie mir davon«, sagte er.
    »Wissen Sie denn nicht alles?«
    Ich hatte gedacht, als ich ihn im Labor sah, daß er an meinen Erlebnissen teilgenommen hatte, aber jetzt begriff ich, daß das nicht möglich war.
    »Ich wartete mit Ihnen zusammen auf dem Gelände des Gutshauses«, sagte er. »Dann folgte ich Ihnen den Berg hinauf und fuhr hinter Ihnen her. Sie blieben eine Weile auf einem Feld über Tywardreath stehen, nahe der Stelle, wo die beiden Straßen zusammenstoßen, dann gingen Sie durch das Dorf, nahmen den Seitenpfad und kamen hier herauf. Sie gingen ganz normal, vielleicht ein bißchen schneller als gewöhnlich. Dann bogen Sie nach rechts in den Wald ein, und ich fuhr in die Auffahrt. Ich wußte ja, daß ich Sie unten im Haus finden würde.«
    Ich stand auf, trat an das Bücherregal und nahm einen Band der Encyclopaedia Britannica heraus.
    »Was suchen Sie?« fragte er.
    Ich blätterte die Seiten um, bis ich die Stelle fand, die ich suchte.
    »Ich möchte wissen, wann der Schwarze Tod kam«, sagte ich. »Dreizehnhundertachtundvierzig. Dreizehn Jahre nach Isoldas Tod.« Ich stellte das Buch wieder auf das Regal.
    »Die Beulenpest?« bemerkte er. »Sie tritt im Fernen Osten noch heute gelegentlich auf.«
    »Tatsächlich? Nun, ich habe gerade gesehen, was sie vor sechshundert Jahren in Tywardreath anrichtete.«
    Ich trat wieder ans Fenster und hob den Spazierstock auf. »Sie haben sich wohl gewundert, wie ich diesen letzten Trip zustande brachte?« sagte ich. »So.« Ich schraubte die Spitze ab und zeigte ihm den winzigen Becher. Er nahm ihn mir ab und drehte ihn um. Der Becher war leer.
    »Tut mir leid«, sagte ich, »aber als ich Sie da unten beim Steinbruch sitzen sah, wußte ich, daß ich es tun mußte. Es war meine letzte Chance. Und ich bin froh, daß ich es tat, denn jetzt ist das Ganze erledigt, vorbei. Es bleibt keine Versuchung mehr, kein Wunsch, mich in der anderen Welt zu verlieren. Ich sagte Ihnen, daß Roger frei ist, und damit bin ich es auch.«
    Er antwortete nicht, er betrachtete nur den leeren Becher. In seinem Gesicht lag ein rätselhafter Ausdruck.
    »Wie wär's, wenn Sie mir sagten, was sonst noch in dem Bericht stand, den John Willis Ihnen schickte, bevor wir in Dublin anrufen?« fragte ich ihn.
    Er schob den Becher an seinen Platz zurück, schraubte die Spitze darauf und reichte mir den Stock.
    »Ich habe ihn in der Flamme meines Feuerzeuges verbrannt, als Sie da unten auf dem Boden knieten und das Totengebet sprachen«, sagte er. »Das schien mir der richtige Augenblick zu sein, und ich wollte das Ergebnis der Analyse lieber vernichten, anstatt es zwischen meinen Akten im Sprechzimmer liegenzulassen.«
    »Das ist keine Antwort«, sagte ich.
    »Mehr werden Sie von mir nicht hören«, erwiderte er.
    In der Halle läutete das Telefon. Ich fragte mich, wie oft es wohl schon geläutet hatte.
    »Das ist bestimmt Vita«, sagte ich. »Auf zum Countdown! Am besten werfe ich mich wieder auf die Knie. Soll ich ihr sagen, daß ich in der Herrentoilette eingeschlossen wurde und morgen komme?«
    »Es wäre besser, wenn Sie ihr sagten, sie hofften auf ein späteres Wiedersehen – vielleicht in ein paar Wochen.«
    »Aber das ist doch absurd«, erwiderte ich ärgerlich. »Mich hält nichts mehr zurück. Ich habe Ihnen doch gesagt, es ist alles vorbei, und ich bin frei.«
    Er saß schweigend da und starrte mich an.
    Das Telefon läutete immer noch, und ich ging durch das Zimmer, um das Gespräch anzunehmen, aber als ich den Hörer abhob, passierte mir etwas ganz Dummes. Ich konnte ihn nicht richtig halten. Meine Finger waren taub. Der Hörer glitt mir aus der Hand und fiel krachend zu Boden.
     
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