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Ein Tropfen Zeit

Titel: Ein Tropfen Zeit
Autoren: Daphne DuMaurier
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verschlossenen Schrank«, fuhr ich fort, »alle sorgfältig etikettiert mit A, B, C. Ich goß genau drei Maßeinheiten von Flasche A in das Arzneiglas, und das war's. Ich schluckte das Zeug runter, stellte Flasche und Glas an ihren Platz zurück, schloß den Schrank und das Labor ab und wartete, daß etwas geschah. Aber es geschah nichts.«
    Ich hielt inne, damit diese Nachricht wirken konnte. Von Magnus kein Kommentar.
    »Darum ging ich in den Garten. Immer noch nichts. Du hattest mir gesagt, die Zeitspanne sei verschieden lang; mal dauere es drei Minuten, manchmal fünf oder zehn, bevor sich irgend etwas ereignet. Ich erwartete, daß ich mich benommen fühlen würde, obwohl du das nicht erwähnt hattest, aber als nichts geschah, beschloß ich, einen Bummel zu machen. Ich kletterte über die Mauer neben dem Sommerhäuschen und ging querfeldein auf die Klippen zu.«
    »Du verdammter Dummkopf«, warf er ein. »Ich habe dir doch gesagt, du solltest beim ersten Experiment im Hause bleiben.«
    »Ich weiß. Aber ehrlich gesagt, glaubte ich nicht, daß es klappen würde. Ich wollte mich hinsetzen, sobald die Wirkung begann, und mich in einen schönen Traum hinübergleiten lassen.«
    »Verdammter Dummkopf«, wiederholte er, »so geht das nicht.«
    »Das weiß ich jetzt auch«, antwortete ich.
    Dann schilderte ich ihm das ganze Experiment von dem Augenblick an, als die Droge zu wirken begann, bis zum Zerbrechen des Küchenfensters. Er unterbrach mich nicht; nur wenn ich schwieg, um Atem zu holen oder einen Schluck Tee zu trinken, sagte er: »Weiter, weiter …«
    Als ich geendet hatte, herrschte Stille, und ich dachte schon, das Gespräch sei unterbrochen worden. »Magnus«, sagte ich, »bist du noch da?«
    Seine Stimme klang klar und fest, und er wiederholte die Worte, die er zu Beginn unseres Telefonats gebraucht hatte.
    »Großartig. Einfach großartig.«
    Vielleicht … Ich war jedenfalls völlig ausgehöhlt und erschöpft, da ich durch meinen Bericht die gleichen Vorgänge praktisch zweimal durchgemacht hatte.
    Er begann schnell zu sprechen, und ich sah ihn vor mir, wie er auf seinem Schreibtisch in London saß, in einer Hand den Hörer, mit der anderen nach Notizblock und Bleistift greifend.
    »Verstehst du «, sagte er, »daß dies das wichtigste Ereignis ist, seit die Chemiker die Wirkungsweise südamerikanischer Rauschgifte entdeckten? Die bringen aber nur das Gehirn durcheinander – ziemlich stark sogar. Meine Droge dagegen läßt sich kontrollieren und wirkt gezielt. Ich wußte, daß ich möglicherweise etwas ganz Neuem auf der Spur war, aber ich war nicht sicher, denn ich hatte es nur an mir selbst ausprobiert und festgestellt, daß es kein Halluzinogen war. Wenn das stimmte, mußten wir beide ähnliche physische Reaktionen haben – Verlust des Tastgefühls, gesteigertes Sehvermögen und so weiter. Aber die gleiche Erfahrung der veränderten Zeit ist viel wichtiger. Das ist das aufregendste daran!«
    »Du meinst, als du es ausprobiertest, seist du auch in der Zeit zurückgegangen?« fragte ich. »Hast du dasselbe gesehen wie ich?«
    »Genau. Und ich hatte das ebensowenig erwartet wie du. Nein, das ist nicht wahr, denn ein anderes Experiment, an dem ich damals arbeitete, ließ diese Möglichkeit schon ahnen. Es hat etwas mit Ribonukleinsäure zu tun, mit Enzymkatalisatoren, dem Molekulargleichgewicht usw. – ich will mich über deinen Kopf hinweg nicht weiter darüber auslassen, mein Junge, aber was mich in diesem Augenblick interessiert, ist, daß wir beide anscheinend in die gleiche Epoche gerieten. Nach der Kleidung zu urteilen, dreizehntes oder vierzehntes Jahrhundert, stimmt's? Ich sah ebenfalls den Burschen, den du als deinen Reitersmann bezeichnest – der Prior nannte ihn Roger, nicht wahr? –, das ziemlich schlampige Mädchen am Feuer und noch jemand, einen Mönch, der an die mittelalterliche Priorei denken ließ, die früher einmal zu Tywardreath gehörte. Die Sache ist die: Bewirkt die Droge die Umkehrung eines chemischen Vorgangs im Erinnerungssystem des Gehirns und versetzt sie uns zurück in eine bestimmte Epoche der Vergangenheit? Wenn ja, warum versetzt das Molekulargebräu uns dann gerade in jenen Zeitabschnitt zurück? Warum nicht ins Gestern, in die Zeit vor fünf oder hundertzwanzig Jahren? Es könnte sein – und diese Möglichkeit finde ich so aufregend –, daß zwischen dem, der die Droge nimmt, und der ersten Menschengestalt, die im Gehirn registriert wird, während es unter
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