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Ein Tag und zwei Leben (Episode 1)

Ein Tag und zwei Leben (Episode 1)

Titel: Ein Tag und zwei Leben (Episode 1)
Autoren: Adriana Popescu
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Retter ist. Nicht nur für mich. Mit sechzehn hat er versucht, sich selbst zu retten und ist freiwillig von seinem Zuhause in ein Heim gezogen, weil er die Streitereien seiner Eltern nicht mehr ertragen konnte. Als ich ihn vor über sechs Jahren bei seinem Praktikum in einer Redaktion kennengelernt habe, machte er auf mich den Eindruck eines absoluten Sunnyboys; schien ihm doch im wahrsten Sinne des Wortes die Sonne aus dem Arsch zu scheinen – wie man so schön sagt. Niemals hätte ich geahnt, was er alles hat durchmachen müssen, um hier zu stehen. Okay, vielleicht ist Comiczeichner nicht der Beruf, mit dem man viel Geld macht – und natürlich umgibt ihn immer die Aura des »Kindes im Manne«, das nie erwachsen wird: Peter Pan mit einem Bleistift. Solange sein Job seine Miete bezahlt und er nicht auf der Straße leben muss, sehe ich keinen Grund, ihn deswegen anders zu behandeln. Tobi ist da, natürlich, anderer Meinung. Tobi. Ja er fehlt mir. Weil ich mich an ihn gewöhnt habe und weil er mir an seinen guten Tagen das Gefühlt gibt, ich wäre ihm wichtig. Ich kenne ihn, er kennt mich. Wir wissen, wie es funktioniert. Aber manchmal wollen wir ausbrechen … und mehr, das wissen wir beide. Er fährt dann mit seinen Freunden für ein Wochenende nach Hamburg, um sich ein Spiel des FC St. Pauli anzusehen. Was er sonst noch alles tut, das will ich mir in den ganzen Details gar nicht ausmalen. Wenn wir den Mut hätten, würden wir uns sagen, dass es nicht die ganz große Liebe ist. Aber wenn man sich nicht mehr liebt wie damals als Teenager, dann kann man sich doch zumindest an kalten Tagen wärmen, oder nicht? Ist die große Liebe mit all ihren Wunderkerzen und Feuerwerken nicht eine … fette, große Lüge? Natürlich ist sie das! Und der Inhalt dieses Cocktailglases bestärkt mich in dem Gefühl, dass es gar nicht nur einen Partner für uns geben kann. Vielleicht zaubert mir Damian ab und an Schmetterlinge in den Bauch, aber Tobi ist eben auch zum Anfassen und Küssen. Das sollte man nicht unterschätzen! Vor allem nicht jetzt, nachdem ich zusehen musste, wie Simone Damian die Zunge in den Hals gerammt hat und ihre Hände nicht von ihm lassen konnte. Ich sollte nicht überrascht sein, sie tut das ständig. Als wolle sie ihr Revier markieren. Dabei weiß sie nicht halb so viel über ihn, wie ich es weiß! Wow, ich bin schon völlig begeistert von dem Drink in meiner Hand. Wie ein Wirklichkeitselixier klärt er meine Gedanken und Gefühle perfekt auf. Klar ist mir Damian wichtig, und wenn ich mich nicht allzu dämlich anstelle, werden wir noch eine ganze Weile zusammen durch das Leben gehen. Aber er wird nie in der Lage sein, mir all das zu geben, was ich mir wünsche. So blöd bin ich nicht, so vernebelt sind meine Sinne nicht. Ganz im Gegenteil, ich sehe immer klarer. Und ohne Zweifel sehe ich nach einem weiteren Drink noch viel klarer! Mein Barkeeper scheint begeistert, dass seine Mischung so wunderbar ankommt und seine Wirkung nicht verfehlt. Vielleicht dreht sich der Raum schon ein bisschen, aber das wird mich nicht davon abhalten, meinen Frust von der Seele zu saufen. Ganz sicher nicht! Bis ich auf Nachschub warten muss, stellt er mir ein kleines Glas mit einem Schnaps vor die Nase. Ohne nachzudenken stürze ich den Inhalt meine Kehle runter und spüre das Brennen bis in meinen Magen. Ich trinke sonst nicht viel. Eigentlich gar nicht. Aber manchmal muss man doch mal über die Stränge schlagen, oder? Ach egal. Im Moment betäubt es unangenehme Erinnerungen.
    Ein kurzer Blick ins Wohnzimmer und ich sehe weder Damian noch Simone – zum Glück! Darauf lege ich nämlich auch keinen Wert! Obwohl … es würde mich ja schon interessieren, wie schnell Damian vergessen hat, wie wunderbar ich doch bin und was für ein Idiot Tobi wäre, wenn er es nicht merkt.
    Tobi …
    Er fehlt mir in Momenten wie diesen, weil ich nicht die sein will, die alleine in einem Katzenkostüm auf einer Halloween-Party verendet. Das wäre das dramatische Ende in einem beschissenen Aufzug. Irgendwo in meiner Handtasche, die mein Kostüm um einiges aufwertet, finde ich mein Handy. Ich wähle Tobis Nummer blind, während ich den nächsten Drink bekomme. Diesmal schmeckt man den Alkohol kaum und ich frage mich, ob der Typ mir vielleicht nur Limo zum Eis gegossen hat? Mit einer bestimmenden Handbewegung fordere ich ihn auf, gefälligst noch was Rum nachzufüllen, als der Klingelton an meinem Ohr unterbrochen wird.
    »Hallo?«
    »Tobi!«
    Ich
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