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Ein Tag und zwei Leben (Episode 1)

Ein Tag und zwei Leben (Episode 1)

Titel: Ein Tag und zwei Leben (Episode 1)
Autoren: Adriana Popescu
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der Bar. Sie sehen sich vermutlich zu oft. Während Damian elektronische Tanzmusik mixt und auflegt, hört Tobi gerne Rockmusik und fährt von Festival zu Festival, um seine Lieblingsbands live zu sehen. Damian und er kämen nicht mal bei der Wahl des Fußball-Vereins auf einen Nenner. Gut, Damian darf als halber Engländer vielleicht auch eine Schwäche für Manchester United haben, aber der eingefleischte St. Pauli-Fan Tobi würde das niemals akzeptieren! Tobi kommt aus einem intakten Elternhaus, das zwar nicht viel Geld, aber jede Menge Liebe für den einzigen Sohn übrighatte. Damian hat sich alles erkämpft; selbst als der Gegner übermächtig erschien, hat er nicht aufgegeben. Gewonnen hat er nicht immer, aber ich erkenne seinen puren Kampfeswillen an. Tobi mag ihn aus verschiedenen Gründen nicht. Meine Erklärungsversuche, dass eine ganze Menge dahinter steckt, ignoriert er ebenso gekonnt wie meine Bitte, ihn doch in Ruhe zu lassen.
    Damian löst sich ein bisschen von mir und nimmt mein Gesicht zärtlich in seine Hände.
    »Eines Tages, da wird der Richtige vor dir stehen und der wird dich nicht gehen lassen. Der wird wissen, was für eine wunderbare Frau du bist – und dann wird er dich nicht mehr loslassen.«
    Die Ernsthaftigkeit mit der er das sagt, überrascht mich zutiefst. Ich nicke nur abwesend, während ich auf seine Lippen starre, die er mit roter Farbe blutig geschminkt hat. Selbst die Plastikeckzähne und die graue Sprühfarbe auf seinen Haaren können nicht verhindern, dass seine Worte so zielsicher mein Inneres treffen, als hätte er es genau darauf abgesehen.
    »Du bist eine ganz wunderbare Frau.«
    Welches Lied wird gerade gespielt? Welcher Moment ist gerade? Ich weiß es nicht mehr. Ich spüre nur noch seine Berührung, höre sein Flüstern und möchte ihn so gerne wieder küssen. Ohne Alkohol und ohne Ausrede, es wäre ein Ausrutscher. Einfach weil ich es möchte. Vielleicht spielt mir meine Fantasie einen Streich, aber es kommt mir ganz so vor, als ob auch Damian mich küssen will. Hier und jetzt!
    »Damian?«
    Mein Herz bleibt stehen. Von jetzt auf gleich. Einfach so. Ihre Stimme zerschneidet den Moment in zwei Teile – und sofort bringt Damian Abstand zwischen unsere Körper, während sie neben uns in einem billigen Polyesterkleid auftaucht, das sie so kurz abgeschnitten hat, um möglichst viel Haut zur Geltung zu bringen.
    »Simone, du bist ja doch hier.«
    Ihr Make-up scheint sich etwas uneins darüber zu sein, was ihre Verkleidung sein soll: noch sexy Hexy – oder schon billige Schlampe?
    »Ja, ich bin doch hier. Wenn mein Freund eine Party schmeißt, bin ich doch dabei!«
    Sie wirft mir einen kurzen Blick zu, der eine ganze Festung niederbrennen könnte, dann dreht sie sich wieder zu Damian.
    »Hi Baby!«
    Und dann tut sie das, was ich vor wenigen Sekunden tun wollte. Sie küsst ihn. Nicht einfach so – nein, so als müsste sie etwas beweisen und als wäre das kein Kuss, sondern der Startschuss zum Vorspiel. Wie um alles in der Welt kann Damian mit diesen Eckzähnen überhaupt so küssen? Zuerst nehme ich an, sie wird irgendwann von ihm ablassen, aber so wie sie sich an ihm reibt, ist meine Zeit mit ihm vorbei. Ich wirke wie ein Stalker, der einem Pärchen beim Knutschen zusieht. Deswegen verziehe ich mich mit meinem Drink wieder in Richtung Küche, bevor noch jemand bemerkt, wie peinlich das Ganze ist. Was habe ich mir von dem heutigen Abend also wirklich versprochen? Wie immer, wenn ich mich auf so etwas einlasse, ende ich wie eingeschlossen in der Küche und trinke zu schnell mein Glas leer. Vergessen der Teil mit dem Wagen und die Frage, wie ich nach Hause kommen soll. Einer der Jungs, die sich als Barkeeper versuchen, fragt nach meinem Wunsch. Ich bestelle einen Caipirinha, weil mir das zuerst einfällt und nach genug Alkohol klingt. So großzügig, wie er Rum in den Mixbecher füllt, bin ich mir sicher: in wenigen Stunden habe ich das alles vergessen. Es ist mit all den anderen Erinnerungen weggespült, die sich schon viel zu lange in meinem Kopf drehen.
    Damian und ich – das ist wie in einer dieser miesen Soaps, die ich mir ansehe, ohne es zuzugeben. Wir sind Freunde. Freunde mit Ausrutschern. Aber wenn mein Wagen mitten in der Nacht auf der Autobahn ohne Sprit liegen bleiben würde, dann würde ich nicht den ADAC anrufen, sondern ihn. Und egal wo er gerade wäre, und welche Schönheit sich nackt neben ihm räkeln würde, er würde mich retten. Weil Damian einer dieser
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