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Ein Sturer Hund

Titel: Ein Sturer Hund
Autoren: Heinrich Steinfest
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Wer versuchte nicht, den üblichen Unbill einer Urlaubsreise als abenteuerlichen Ritt durch die Fremde zu verkaufen? Wer erzählte nicht überall herum, einmal in einer Rockband gespielt zu haben? Wer hätte nicht aus dem Umstand, vor Jahren Gregory Peck im Flugzeug erkannt zu haben, eine kleine charmante Geschichte gedeichselt? Natürlich würde kaum jemand auf die Idee kommen, eine solch zufällige Begegnung einfach zu erfinden, aber wenn sie nun tatsächlich passierte, war es nur normal, ein wenig mehr daraus zu machen. Würde der Mensch die Fakten seines Lebens nicht ornamentieren, konturieren oder kolorieren, wären die meisten Gespräche eine traurige Angelegenheit. Und daß allein die reine, ungeschmückte Darstellung von Geschehnissen der Wahrheit dienlich sei, darf ebenfalls bezweifelt werden.
    Der Dunkelblaue klappte das Buch zusammen, steckte es zurück in seine schwarze, flache Ledertasche und stieg aus dem Waggon. Da die Stadtbahn inzwischen den Untergrund verlassen hatte, blieb er zunächst unter dem Dach der Haltestelle, schlüpfte in seinen Mantel und holte einen Knirps aus seiner Tasche, den er ohne Umstände entfaltete. Dann ging er in Fahrtrichtung der davonbrausenden Stadtbahn los.
    Der Regen war heftiger geworden, wirkte auf eine trommelnde Weise sommerlich, wie die Entladung eines Gewitters. Tatsächlich meinte Mortensen, der dem Dunkelblauen nun durch den Schauer folgte, einen Donner vernommen zu haben. Mit einem Finger mimte er die Bewegung eines Scheibenwischers, um das Glas seiner Brille einigermaßen freizubekommen. Er verteufelte den Umstand, so ganz ohne Schirm und Verstand durch den Regen zu marschieren, hinter dem anderen her, der nicht nur der Witterung gemäß ausgerüstet war, sondern wohl auch wußte, warum er sich hier und nicht woanders befand. Mortensen hingegen wußte es nicht. Und während er jetzt spürte, wie die Nässe zwischen Kragen und Hals eindrang, dachte er daran, daß es eigentlich schicklich gewesen wäre, wenn der Leser dem Autor hinterherläuft und nicht umgekehrt. Es waren naturgemäß immer die Leser, die für einen bestimmten Autor schwärmten und manchmal ihre Schwärmerei zu einer obsessiven Belästigung steigerten, Telefon- und Postkartenterror betrieben, ihren Idolen bei Lesungen auflauerten oder ungesetzliche Manöver unternahmen, um an Kleidungsstücke oder andere Devotionalien zu gelangen. Und die im Extremfall ein paar ekelhafte Dinge taten, um den angehimmelten Buchautor auf sich aufmerksam zu machen. Doch in diesem Fall war die Welt eine verkehrte. Der Schriftsteller verfolgte seinen Leser. Seinen vielleicht einzigen. Das mochte bitter sein. War es auch.
    Die ihn umgebende Feuchtigkeit puppte Mortensen geradezu ein. Aber er gab nicht auf. Sah jetzt, wie der Dunkelblaue durch eine Metalltür in ein Lokal trat. Über der breiten Fensterfront prangte ein roter Schriftzug aus Neonröhren, der im Regen undeutlich blieb, wie zerschnitten. Mortensen schob seine Brille vom Gesicht, um mit zusammengekniffenen Augen den Namen zu entziffern: Tilanders Bar . Eine Weile noch stand er unschlüssig davor, dann trat er ein.
    Gleich neben dem Eingang befand sich eine Garderobe, an die er seinen Mantel hinhängte. Eine Alge von einem Mantel. Aber auch ohne Mantel tropfte Mortensen, als sei er Teil einer Schneeschmelze, weshalb er sich beeilte, auf die Toilette zu gelangen.
    Seine regennasse Brille hatte er in der Innentasche des Sackos untergebracht. Wo er sie auch bleiben ließ. Er ging einfach los, nicht wirklich blind, nicht wirklich sehend, bewegte sich auf den hinteren Teil des Raums zu und schlüpfte durch einen schmalen Durchgang. Ohne auf ein Schild zu achten, drückte er eine Türklinke. Ob Glück oder sechster Sinn, auf jeden Fall landete er dort, wo er hingehörte, stand jetzt vor einem modischen Waschbecken aus Stahl und Design, über dem sich ein rahmenloser Spiegel bis zur Decke streckte. Mortensen öffnete die oberen Knöpfe seines Hemds, wusch sich das Gesicht mit warmem Wasser und zog mehrere Papiertücher aus einem dieser futternapfartigen Behälter, um Kopf, Nacken und Brust zu trocknen. Schließlich war die Brille an der Reihe, die – nachdem er sie wieder aufgesetzt hatte – für einen Moment an den Rändern anlief. Mit den beiden Krallen seiner zehn Finger kämmte Mortensen sein Haar nach hinten. Dann lehnte er sich mit seinem Hinterteil gegen einen Heizkörper und tat gar nichts. Erst als jemand eintrat, löste sich Mortensen aus dem
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