Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ein Stueck meines Herzens

Ein Stueck meines Herzens

Titel: Ein Stueck meines Herzens
Autoren: Richard Ford
Vom Netzwerk:
Prolog
    W. W. kam im Regen über den Damm hinunter, sein alter Plymouth schlitterte aus der Fahrspur, und sein Gewehrlauf, noch heiß vom Schießen, ragte gefährlich aus dem Fenster. Er blickte durch die Weiden hinunter auf das Bootscamp, und für einen Augenblick sah er nichts als das Haus und den Anlegeplatz, vom Regen verdeckt, obwohl er aus der Entfernung beobachtet hatte, wie Robards Pickup vor drei Minuten den Damm erklommen hatte und auf der anderen Seite verschwunden war, und er nun hinter ihm her war. Der Regen wurde immer heftiger, und er fuhr langsamer durch die Weiden. Dicke Tropfen liefen den Gewehrlauf hinunter und tröpfelten auf seine Hose, aber er merkte es nicht. Schließlich sah er Robards Pickup, der sich im Schutz der niedrigen Äste duckte und im Regen dampfte und tickte. Er stieg aus, ließ seinen Wagen rollen, bis er in das Heck des Pickup hineinrollte, und schritt, immer noch in seinem Baseball-Dress, vorsichtig auf den Anlegeplatz zu, wo ein blonder Junge am Wasser stand, ein Gewehr mit dem Lauf nach unten hielt und zusah, wie ein leeres Boot den Seearm hinunter- und auf die Untiefen zutrieb.
    Als der Junge die Gegenwart eines anderen witterte, wirbelte er herum und riß das Gewehr hoch und zielte damit direkt auf den Bauch des Mannes.
    »Wer zum Teufel sind Sie denn?« fragte er, und seine Mundwinkel zitterten, so daß er aussah, als ob er lächeln wollte.
    W. W. sah aufs Wasser hinaus, fummelte am warmen Abzugsbügel herum und überlegte, ob er den Jungen erschießen und dabei auf irgendeine Weise vermeiden könnte, selbst erschossen zu werden. Er kam zu dem Schluß, daß er es nicht könnte, und lächelte.
    »Ich bin W. W. Justice aus Helena.«
    »Was machen Sie in Ihrem Baseball-Dress und mit ’nem Gewehr, W. W.?« fragte der Junge, wobei er das Fehlen dreier Vorderzähne enthüllte, hinter denen man die Zunge sehen konnte, die sich bemühte, die Lücke auszufüllen.
    »Ich bin hinter Robard Hewes her. Du hast ihn nicht zufällig gesehen?«
    »Hinter wem?«
    »Robard Hewes.«
    »Also, W. W.«, sagte der Junge, spielte mit seiner Zunge in den Mundwinkeln und ließ die Gewehrspitze wieder zu seinem Fuß zurücksinken, »von dem hab ich noch nie gehört. Aber eins kann ich Ihnen sagen.«
    »Und das wäre?« fragte W. W.
    »Ich hab hier gerade einen Mann getötet, nich’ mal ’ne Minute, bevor Sie gekommen sind.«
    »Wen hast du getötet?« fragte er und sah dem leeren Boot nach, das in Regen und Wind dahintrieb.
    »Keine Ahnung! Aber wer immer das war, hatte hier absolut nichts zu suchen. Das kann ich Ihnen sagen. Das kann ich Ihnen aber sagen.«

Teil I
Robard Hewes

1
    In der Dunkelheit konnte er die langen Lichtkegel sehen, die den Berg hinunterkamen, auf Bishop zu. Sie durchquerten die Wüste nach Einbruch der Dunkelheit, nachdem sie Reno in der Dämmerung verlassen hatten, und glitten um Mitternacht durch die Wüste nach Indio. Er saß im vorderen Zimmer im Dunkeln und starrte durch den Eingang hinaus, rauchte und hörte zu, wie die Käfer das Fliegengitter hochkrabbelten und die Luft durch das Fenster zog. Irgendwo in der Ferne machte sich ein Lastwagen mühsam auf den Weg über die Wiese zu den Bergen. Von der Stadt her hörte er lange ein Auto hupen, dann Reifen quietschen, bis das Geräusch schwächer wurde und in die Nacht zurücksank. Im Dunkeln stieß er eine Rauchwolke aus und fuhr sich mit den Fingern durchs Haar.
    »Also«, hatte sie gesagt, »wie lange willst du wegbleiben?«, während sie das Geschirr auf die Fensterbank stellte und in das violette Licht hinausstarrte. »Wie wird das wohl werden?«
    »Es wird schon gutgehen«, sagte er. »Ich komme wieder.«
    Und sie hatte sich umgedreht, ihr dickes Haar, schwärzer als seins, über ihren Schultern, und war ohne ein weiteres Wort im Haus verschwunden. Als ob sie sich gerade dabei ertappt hätte, wie sie sich in ein Arrangement hineinziehen ließ, und zurückgewichen wäre, um sich mit einem Instinkt zu retten, dessen Existenz sie ganz vergessen hatte, weil sie acht Jahre lang keinen Grund gehabt hatte, sich zu retten. Er hatte gehört, wie sich die Tür schloß.
    Nach einer Weile hatte er sich vom Tisch erhoben, das Licht ausgeschaltet und war nach vorn gegangen, um zu warten, bis es richtig dunkel war und er in der Kühle aufbrechen konnte.
    Er überlegte, während er dort allein saß, was man da eigentlich tun konnte. Wenn der Ehemann einer Frau plötzlich aufsteht und einfach weggeht aus dem Leben, das sie mit ihm
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher