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Ein Stueck meines Herzens

Ein Stueck meines Herzens

Titel: Ein Stueck meines Herzens
Autoren: Richard Ford
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eingeimpft hatte, war – angesichts all der Aktivität, die es anscheinend in ihm befördert hatte – nicht eingeschlummert und verborgen gewesen, sondern einfach ein Mißverständnis.
    Der Regen hatte sich unter dem Nebel zu einer silbernen Wand ausgebreitet. Der Pickup kam unter den Wolken hervor ans Licht und begann die lange Abfahrt zur Wüste hinunter, auf der die Luft, sechshundertfünfzig Meter über dem Flachland, schon heißer war. Die Straße, die er weiter unten sehen konnte, bog über eine ovale Wiese, die den Fuß der Sierra von der Wüste abgrenzte. Eine Pappelreihe teilte die Wiese entlang des Straßenrandes. Dieser verband den Bergausläufer mit dem Stadtrand von Bishop, das ein Stückchen entfernt, auf der halben Strecke zum Horizont, im purpurroten Dunst lag.
    Aber was passiert mit mir, dachte er, und schon machte er sich Sorgen – was passiert, wenn es ihr gelingt, mich mit etwas Gefährlichem anzustecken und es jahrelang mit Hilfe von Gardenienduft und ein paar blumigen Briefen am Leben zu halten? Was passiert, wenn man merkt, daß es wichtig ist – was man getan hat und was sie getan hat und tun würde, und wann und wie und mit wem, und daß einem nur ein zerstörerisches Verlangen geblieben ist, das bloß durch das eine zu befriedigen ist?
    Er fuhr die weite Kurve hinunter auf die im Schatten liegende Straße zur Stadt. Er machte sich Sorgen, weil er wußte, daß, was einmal begonnen hatte, aus dem Leben nicht mehr verschwand und daß das Leben buchstäblich anschwoll vor lauter Anfängen, die sich Tag für Tag aufhäuften, bis man ein Alter oder eine Verfassung erreichte, in denen man das alles nicht mehr weiterführen und nichts Neues mehr anfangen konnte, und dann mußte man sein Leben, wie es gerade kam, ausklingen lassen. Aber an diesem Punkt war er noch nicht! Und deshalb war auch nicht anzunehmen, daß das, was sie in ihm genährt hatte, irgendwann schon nachlassen würde, sondern daß es sich unbeschränkt in alles und jedes hineinmischen und jedem das Leben schwermachen würde, es sei denn, er traf ernsthafte Anstalten, sie und es in etwas umzuwandeln, mit dem er leben konnte, so wie jeder mit bestimmten Dingen lebte.
    Er fuhr in die Stadt und vor das Postamt, hielt an und dachte in der Hitze, daß es nur  eine  Möglichkeit war, Beuna einzuschätzen, wenn man sie als ein Hindernis betrachtete oder als etwas, das man überleben mußte, und daß man ihr so nicht unbedingt auch gerecht wurde. Er ging hinein, und die Luft war kühl und trocken. Die Halle war eine lange, leere Arkade mit drahtumwickelten Oberlichtern, die den Raum in verschwommene Halbschatten tauchten. Er holte den Brief am Postlagerschalter ab, ging zurück ins Sonnenlicht und blickte die Straße hinauf, um festzustellen, ob irgend jemand zu sehen war, den er kannte. Er dachte ans Frühstücken und beschloß, es ausfallen zu lassen.
    Er steckte den Brief unter die Sonnenblende und machte sich zurück auf den Weg zu den Bergen. Er fuhr hinaus über die Wiese, bis er die Works-Progress-Brücke am Inyo Creek überquert hatte, hielt an, stieg aus und ging zurück zum Geländer. Der Wind blies gegen das Blatt, machte es steif oder knickte es, während er die Worte wieder und wieder las, sie studierte und seine Lippen jedes einzelne Wort formten. Und nach einer Weile schritt er hinunter in die gelben und grünen Lichtflecken, ging ins Schilf hinein, legte den Umschlag auf die Wasseroberfläche und sah zu, wie er sich drehte und forttrieb, bis er wie ein Funke ausgelöscht wurde. Er brütete einen Augenblick lang über dem Brief, während das Blatt in seiner Hand flatterte, faltete es plötzlich zusammen und sprang aus dem feuchten Gras zurück. Er kletterte die Böschung hoch, schob das Blatt unter seinen Spann und machte sich auf den Weg zurück zum Pickup.
    Er dachte noch einmal, daß es nur eine engstirnige Sichtweise war, wenn man Beuna als eine Hürde betrachtete. Und nicht die einzige Sichtweise. Denn man konnte es auch so sehen, daß er mit diesem Teil seines Lebens noch nicht fertig war, Ehefrau hin oder her, mit diesem Teil, der mit Beuna zu tun hatte und mit Frauen im allgemeinen. Und daß da immer noch so viel drin war, nämlich eine ziemlich gute Chance, die er so nutzen konnte, wie er wollte, und daß vierunddreißig immer noch jung war, wenn man bedachte, daß man nur einmal lebte. Seine Zeit war gekommen. Und zwar jetzt.

4
    Er fuhr nach Arizona hinein und schlief am Nachmittag hinter einem Motel in
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