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Ein Stueck meines Herzens

Ein Stueck meines Herzens

Titel: Ein Stueck meines Herzens
Autoren: Richard Ford
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kann«, sagte er, sog Luft durch die Nase ein und versuchte, seine Kehle verschlossen zu halten.
    »Also gut«, sagte sie vorwurfsvoll und starrte auf ihre Zehen auf dem Treppenabsatz unter ihnen. Er konnte W. W.s Stimme hören, die aus dem Dunkel über das Feld rief. Hinter ihm lachten andere Stimmen. Auf einmal langte sie wieder zu, zwängte die Hand in seine Hose, als wollte sie einen Nagel hineintreiben, und er hatte das Gefühl, als würde gleich irgendeine schreckliche Vision vor ihm erscheinen. Der letzte Lichtmast erlosch und hüllte sie in eine jämmerliche Dunkelheit. »Da du es nun mal so ausgedrückt hast«, sagte sie langsam, »ist es wohl in Ordnung.«
    Auf dem Weg zurück durch die Wüste begann er, die Dinge für sich zu klären. Im allgemeinen, wußte er, endeten Geschichten im Leben nicht, bloß weil sie es, allen vernünftigen Einschätzungen nach, auch tun  sollten . Oder weil Leute, die beteiligt waren, Dinge taten oder den Ort wechselten, wodurch es dann meistens einfach zu mühsam wurde, weiterzumachen. Denn wenn einmal eine Macht in einem Geltung gewann, dann wuchs sie, nahm Ausmaße an, zeigte Schattierungen und begann, ein Eigenleben zu führen, das manchmal so umfassend und reich war wie das eigene Leben. Und wenn sich ein Mann einmal hinsetzte und sein Leben nüchtern und mit gesundem Menschenverstand betrachtete, dann würde er das sehen – und verstehen, daß nichts in seinem Leben wirklich je endete. Dinge veränderten sich nur und entwickelten sich zu etwas anderem.
    Nach drei Wochen kam ein Brief in die Ausgabe für postlagernde Sendungen, der auf Drugstore-Briefpapier geschrieben war. Er lautete:
    Robard:
    Wir sind im Moment nicht in Tulare, sondern in Tacoma, Washington. Hier ist es überhaupt nicht schön und es regnet dauernd. Er hat gut in Tulare gespielt und in Oakland einmal gepitcht, aber dort haben alle den Ball gekriegt, und am nächsten Tag hat er den Bus hier hoch genommen, und ich bin mit dem Wagen gekommen. Hinter unserm kleinen Haus ist bloß ein riesiger Graben, und ich habe Angst, daß er überflutet wird und mich ertränkt. Ich weiß nicht, was mit mir geschehen wird, aber etwas wird geschehen. Riech mal. Ich liebe dich immer mehr. Beuna.
    Er hielt das Papier hoch ans Licht, als er im langen, luftigen Vorraum der Post stand, und roch an den Stellen, die beschrieben waren, nahm den Brief schnell mit hinaus zum Rinnstein und zerriß ihn in tausend Stücke, die er durch den Rost in die trockene Öffnung des Siels flattern ließ.
    Nach zwei Wochen kam ein Brief, in Helena, Arkansas, abgestempelt, mit einer Nachricht, die auf Holiday-Inn-Briefpapier geschrieben war. Sie lautete:
    Robard:
    Ich bin wieder zu Hause. W. W. sagt, er wird wieder in Oakland pitchen, und ist immer noch in Tacoma und spielt Kinderspiele. Er wird es sich anders überlegen. Ich liebe dich noch mehr. B.
    Er hatte auf den Stufen des Postamtes gesessen und über W. W. nachgedacht, der in einem merkwürdigen kleinen Bungalow in Tacoma festsaß. W. W., der wohl darüber staunte, was in einem Zeitraum von einer Woche alles mit dem Leben eines Mannes geschehen konnte, und der sich fragte, wie er alles wieder ins Lot bringen und Beuna aus dem Haus ihres Stiefvaters wieder heraus- und dorthin zurückholen konnte, wo er war, damit er in Oakland noch einmal eine Chance hätte, daß jemand auf ihn aufmerksam wurde.
    Eine Woche später kam ein Brief, in dem es schlicht hieß:
    Robard:
    W. W. hat’s kapiert. Ich wußte es … Beuna.
    Er dachte sich, daß sie mit sich selbst gewettet hatte, sie könnte das Ganze so darstellen, als wäre sie das Opfer und er der Schuldige, weil er hatte bleiben und Baseball pitchen wollen, und nun hatte sie gewonnen.
    Und danach kam jede Woche ein Brief aus Helena, in dem sie ihn anflehte zu kommen, auf immer dem gleichen rosenroten Luftpostpapier, mit wilden Versprechungen und allen möglichen Gerüchen, von denen sie glaubte, daß sie für das, worum sie bat, hilfreich seien. Und er war geblieben und geblieben und hatte jeden Brief in den Abfluß geschmissen und versucht, das Ganze zu vergessen.
    Obwohl er sich fragte, was er vor Jahren eigentlich genau gesehen hatte, oder oben in Tulare in dem Augenblick, als er »In Ordnung« gesagt hatte, während sie auf etwas Bedeutungsvolleres hoffte, und was es war, das sie dazu brachte, W. W. irgendwo in der Fremde auf dem Trockenen sitzen zu lassen, nur damit er das Einzige aufgab, wovon er wirklich etwas verstand. Vor zwölf Jahren
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