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Ein Stueck meines Herzens

Ein Stueck meines Herzens

Titel: Ein Stueck meines Herzens
Autoren: Richard Ford
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hätte er vielleicht gedacht, daß es bloß eine mädchenhafte Laune war, die damit zusammenhing, daß es ihr Spaß machte, drei Meter vom Kopfende des Bettes ihrer Mutter entfernt mit ihrem eigenen Cousin herumzuspielen – und daß  das  soviel inneren Wirbel verursacht hatte, daß es glaubhaft erschien, wenn sie Reue zeigte. Und die einzige Art von Reue, die sie sich damals vorstellen konnte, war, so zu tun, als hätte etwas Mysteriöses von ihr Besitz ergriffen, das sie nicht erklären und über das man, bei all der Aufregung um drei Uhr morgens, auch nicht mehr sprechen konnte. Bloß stimmte das alles so nicht. Es war schon zu lange weitergegangen, um bloß eine mädchenhafte Laune zu sein. Und als er sie in Tulare getroffen hatte, hatte sie ihn mit ihren hellen, farblosen Augen fixiert, als machte sie eine Warenprobe, und da hatte wieder die gleiche unglückliche Fehleinschätzung in ihrem Blick gelegen, die er immer bemerkt hatte, ganz als ob sie von einer Leere herrührte, die sie mit aller Macht ausfüllen wollte.

3
    Um halb sechs war er aufgestanden, hatte sich angezogen und war die Sierra hoch nach Mammoth gefahren und hatte im Pickup gesessen, während es dunkler wurde und das Licht sich grün färbte, als es durch den Nebel zu regnen begann. Um halb sieben fuhr der Vormann in einem Firmenlaster vor, kletterte in seiner gelben Regenkleidung auf die Ladefläche und verlas eine Erklärung, in der es hieß, daß die Arbeit eingestellt würde, weil der Staat eine Untersuchung machen müßte. Der Vormann sagte, es gebe Arbeit bei Keeler, Rohre verlegen für einen Zufluß zum Aquädukt, und jeder, der dort arbeiten wolle, sollte sich spätestens auf der Mittagsliste eintragen. Er war noch gar nicht fertig, als einzelne Männer sich schon auf den Weg machten. Sie liefen zu ihren Pickups, ängstlich darum bemüht, aus dem Nieselregen herauszukommen und zu Keeler hinüber, bevor die Liste voll war und sie um Arbeit betteln mußten. Als der Vormann seine Erklärung zu Ende gelesen hatte, stopfte er sie in die Tasche, kletterte zurück in den Lastwagen und fuhr weg.
    Er ging zu seinem Pickup und dachte, er könnte zurückfahren, mit Jackie frühstücken und überlegen, ob er zu Keeler fahren sollte, wenn er geschlafen hatte.
    Er fuhr aus Mammoth heraus und zurück zum Highway nach Süden. Weiter oben in den Sierras riß die Regenwand auf und ließ hier und da das Tageslicht durch. Er dachte allmählich, daß es da ein paar Dinge gab, die er nicht verstanden hatte. Von Anfang an, als er vor acht Jahren Hazen verlassen hatte und mit ihr durchs Land gefahren war und begonnen hatte, in den Sierras Arbeit anzunehmen, wo er nur konnte, war er so verzweifelt gewesen wie alle anderen auch und genauso in Panik, wenn Jobs aufhörten, und er war hingefahren, wo immer ein neuer zu haben war. Und er hatte dieselbe Panik in sich aufsteigen gefühlt, als er dem Vormann zuhörte, dasselbe Grauen, mit dem die anderen verschwunden waren, um zu Keeler zu fahren und dort einzuspringen, was es auch immer zu tun gab. Nur daß er nicht wegfahren und anfangen konnte, Gräben auszuheben und Rohre zu teeren, ohne eine Entscheidung getroffen zu haben. Als der erste Job vor acht Jahren in Lone Pine zu Ende war, bei 50 Grad Hitze, war er in Panik ausgebrochen. Und in seiner Erinnerung hatte er dann als erstes Männer gesehen, die wie von der Tarantel gestochen losrannten. Und er war mit ihnen gegangen, weil es ihn genauso erwischt hatte und er sich nicht dagegen wehren konnte. Und das ganze Durcheinander, dachte er, hatte der Panik nur dazu verholfen, sich an etwas abzureagieren. Den Inyo herauf und herunter Jobs zu wechseln, schien mit der Zeit die beste Lösung zu sein, weil es überhaupt eine Lösung war, und das war besser als nichts.
    Aber nun dachte er, daß er sich nach acht Jahren doch einmal fragen sollte, ob es immer noch die beste Lösung war und ob sie es wirklich je gewesen war. Wenn er den Job wollte, konnte er am Morgen immer noch hinunterfahren und an der Baustelle stehen, bis irgend jemand in der Hitze zusammenbrach, und ohne weitere Fragen einfach dazustoßen.
    Und so war es natürlich Beuna, worüber er wirklich nachdachte. All diese Jahre, in denen er bloß verzweifelt und aufgewühlt gewesen war, sich Jobs besorgt und Angst gehabt hatte, waren vielleicht nichts als ein sinnloses Herumzappeln gewesen, wie ein Mann, der mit seinem Ärmel in einen Mähdrescher gerät. Und was immer sie ihm damals in Helena vor zwölf Jahren
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