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Ein perfekter Freund

Ein perfekter Freund

Titel: Ein perfekter Freund
Autoren: Martin Suter
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stellte sich schlafend. Er hörte es plätschern, wenn sie den Lappen auswrang, und konnte es kaum erwarten, bis sie ihn wieder berührte.
    Sie seifte Schamhaare und Leisten ein. Endlich spürte er ihre Finger an seinem Penis. Sie hob ihn an - und ein stechender Schmerz durchzuckte ihn. Fabio schrie auf.
    »Pardon.« Eine Männerstimme.
    Er schlug die Augen auf. Ein Mann stand neben dem Bett. Er war etwa in seinem Alter und trug das weißblond gefärbte Haar millimeterkurz. Er hatte eine blaue Baumwollhose an und darüber eine blaue, lose, kurzärmelige Bluse mit einem Namensschild. Er hob die Hände bedauernd in die Höhe. »Der Blasenkatheter, sorry. Wissen Sie, wo Sie sind?«
    Fabio schaute sich um. Neben dem Bett ein Infusionsständer, an der Wand ein Tisch mit einem Blumenstrauß, darüber ein Kruzifix. »Sieht nach Krankenhaus aus.«
    »Wissen Sie, welches?«
    »Keine Ahnung.«
    Der Mann nahm das Krankenblatt vom Bettgestell und machte eine Notiz. »Sie sind in der Neurochirurgie der Uniklinik.«
    »Weshalb?«
    »Sie haben eine Kopfverletzung.«
    Fabio betastete seinen Kopf. Die rechte Gesichtshälfte fühlte sich taub an. Auf dem Schädel spürte er ein Pflaster oder einen Verband. »Wie ist das passiert?«
    »Erinnern Sie sich nicht?«
    Fabio dachte nach. »Nein. Sagen Sie es mir.«
    »Sie haben einen Schlag auf den Hinterkopf bekommen. Das ist alles, was wir wissen.«
    »Wann war das?«
    »Vor sechs Tagen.«
    Fabio erschrak. »So lange lag ich im Koma?«
    Der Pfleger öffnete die Nachttischschublade, entnahm ihr einen Schreibblock. Er war in Fabios Handschrift beschrieben. Dort, wo er hindeutete, stand: Ich habe eine posttraumatische Amnesie.
    »Wann habe ich das geschrieben?«
    »Gestern.« Der Pfleger blätterte zurück und zeigte ihm eine andere Stelle. Ich habe eine posttraumatische Amnesie. »Das ist von vorgestern.«
    Fabio las andere Notizen. In der Intensivstation wurde ich zwei Tage künstlich beatmet und in Narkose behalten. Man hat mir ein Loch in den Schädel gebohrt und eine Hirndrucksonde eingesetzt. Deshalb der Verband, stand hier. Oder: Der rechte Stirnlappen ist geprellt. Oder: Mit einer Hirndrucksonde mißt man den Schädeldruck. Wenn das Hirn anschwillt oder eine Blutung entsteht, steigt er. Oder: Mamma war fünfmal hier, während ich schlief.
    »Wo ist meine Mutter jetzt?«
    »Ich nehme an, zu Hause.«
    »Meine Mutter wohnt in Urbino, sechshundertfünfzig Kilometer von hier.«
    Der Pfleger machte sich eine Notiz.
    »Was schreiben Sie?«
    »Eine Notiz für Dr. Berthod. Daß Sie sich erinnern, wo Ihre Mutter wohnt.«
    »Ich erinnere mich an alles, außer an den Unfall.«
    Die Art, wie der Pfleger nickte, gefiel Fabio nicht. Er blätterte weiter im Schreibblock. Norina war wohl hier, stand da. Und weiter hinten: Die Blumen sind bestimmt von ihr.
    »War ich wach, als meine Freundin hier war?«
    »Manchmal.« Fabio schwieg.
    »Schreiben Sie sich die Fragen auf, die Sie Doktor Berthod stellen wollen«, schlug der Pfleger vor und setzte Fabios Intimwaschung fort.
    In die Dunkelheit drang der Duft von Jasmin, Rose, Maiglöckchen, Ylang-Ylang, Amber und Vanille. Die linke Hälfte seiner Lippen spürte etwas Weiches. Einen Mund? Fabio schlug die Augen auf. Vor ihm, so dicht, daß er es nicht fokussieren konnte, war das Gesicht einer Frau.
    »Norina?«
    Das Gesicht wich zurück. Jetzt konnte er es erkennen.
    Hohe Backenknochen, große blaue Augen, kleiner Mund mit vollen Lippen, blondes kurzes Haar. Mitte Zwanzig.
    »Hallo, Fabio«, sagte sie und lächelte. Tapfer, wie es Fabio schien.
    »Hallo«, sagte Fabio. Er hatte die Frau noch nie gesehen.

2
    Nach und nach erinnerte sich Fabio. Wenigstens an gestern. Er erwachte und wußte: Ich liege im Krankenhaus, weil ich eins auf den Schädel bekommen habe. Ich wurde von einer Polizeistreife eingeliefert, die von Passanten auf mich aufmerksam gemacht worden war. Ich war verwirrt, mein rechtes Auge war zugeschwollen, ich blutete am Kopf. Ich habe ein mittelschweres Schädel-Hirn-Trauma, einen Kopfschwartenriß am linken Hinterkopf, eine Prellung des rechten Stirnlappens, ein Monokelhämatom am rechten Auge, eine Fissur des rechten Orbitalbodens, die meinen Nervus Ophthalmicus einklemmt und schuld ist am tauben Gefühl in der rechten Gesichtshälfte. Vermutlich von einem Sturz als Folge des Schlages. Ich leide unter einer anterograden und einer retrograden Amnesie, die junge Frau, die mich küßt, die mir Blumen bringt, ist nicht Norina. Sie heißt Marlen
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