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Ein Ort für die Ewigkeit

Ein Ort für die Ewigkeit

Titel: Ein Ort für die Ewigkeit
Autoren: Val McDermid
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als sie daran vorbeifuhren. George hatte so etwas noch nie gesehen. Es war eine geheimnisvolle, verborgene und abgeschiedene Welt.
    Jetzt sah er Lichter, nur schwach im Silberglanz des Mondes, aber stark genug, um die Umrisse der verstreut liegenden Gebäude gegen die hellen Kalksteinklippen am hinteren Ende des Tals hervortreten zu lassen. »Das ist Scardale«, sagte Grundy unnötigerweise vom Rücksitz aus.
    Aus der Anhäufung von Steingebäuden wurden bald deutlich voneinander abgesetzte Häuser, die geduckt um eine struppige, kreisförmige Grasfläche herum standen. Ein einzelner, schief stehender Stein erhob sich mitten auf der Wiese, und eine Telefonzelle leuchtete rot an der einen Seite, der einzige lebhafte Farbtupfer in dem mondbeschienenen Ort. Es waren etwa ein Dutzend kleine Häuser, alle voneinander verschieden und jedes nur ein paar Meter vom Nachbarn entfernt. Bei den meisten war hinter den Vorhängen Licht zu sehen. Mehr als einmal erhaschte George einen Blick auf Hände, die den Vorhang etwas zurückzogen, damit Gesichter hinausspähen konnten, aber er ließ sich nicht zu Seitenblicken verlocken.
    Ganz hinten am Ende der Grasfläche stand weit auseinandergezogen ein Gebilde durcheinandergewürfelter Giebel und Fenster: Scardale Manor, vermutete George. Er war nicht sicher, was er erwartet hatte, aber jedenfalls nicht dieses bessere Bauernhaus, das aussah, als wäre es im Lauf mehrerer Jahrhunderte von Leuten zusammengeschustert worden, die sich mehr von der Notwendigkeit als vom Geschmack hatten leiten lassen. Bevor er etwas sagen konnte, ging die Haustür auf, und ein länglicher Lichtschein fiel auf den Hof. Gegen das Licht sah man die Gestalt einer Frau.
    Als der Wagen anhielt, machte die Frau ein paar hastige Schritte auf sie zu. Dann erschien ein Mann neben ihr und legte einen Arm um sie. Zusammen warteten sie, während die Polizisten näher kamen – George blieb etwas zurück, damit Bob Lucas vorausgehen konnte. Die Zeit, die Lucas für die Vorstellung brauchte, konnte er nutzen, um seine ersten Eindrücke von Alison Carters Mutter und ihrem Stiefvater zu sammeln.
    Ruth Hawkin sah mindestens zehn Jahre älter aus als seine Anne, das heißt, sie mußte gegen Ende Dreißig sein. Er schätzte sie etwa einen Meter sechzig groß, und sie hatte den kräftigen Körperbau einer Frau, die an schwere Arbeit gewöhnt ist. Ihr mittelbraunes Haar war zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden, was den abgespannten Ausdruck ihrer graublauen, vom Weinen geröteten Augen noch betonte. Ihre Haut war wettergegerbt, aber in den Rissen der vorgeschobenen Lippen waren schwache Spuren von Lippenstift zu erkennen. Sie trug ein offensichtlich selbstgestricktes Twinset aus blau-rosa gesprenkelter Wolle über einem grauen Tweedfaltenrock. Ihre Beine steckten in gerippten Wollstrümpfen, ihre Füße in praktischen, knöchelhohen Stiefeln mit einem Reißverschluß vorn in der Mitte. Was er sah, war schwer mit Peter Grundys Beschreibung von Ruth als einer gutaussehenden Frau in Einklang zu bringen. George hätte sich an der Bushaltestelle nicht nach ihr umgedreht, außer vielleicht wegen ihres offensichtlichen Kummers, der in der angespannten Körperhaltung und den abwehrend vor der Brust verschränkten Armen zum Ausdruck kam. Er nahm an, daß dieser Kummer ihr auch ihre Attraktivität genommen hatte.
    Der hinter ihr stehende Mann schien viel ungezwungener. Eine Hand berührte leicht die Schulter seiner Frau, die andere steckte lässig in der Tasche seiner dunkelbraunen Strickjacke mit Wildlederbesatz. Er trug eine graue Flanellhose, deren Aufschläge über abgenutzte Lederpantoffeln fielen. Philip Hawkin hatte also seine Frau nicht begleitet, als sie an die Türen im Dorf klopfte, stellte George fest.
    Hawkin war so gutaussehend wie seine Frau durchschnittlich. Etwas kleiner als einen Meter achtzig, mit glattem dunklem Haar, das er von einem spitzen Haaransatz zurückgekämmt trug und mit Pomade in Form hielt. Sein Gesicht mit der breiten, fast viereckigen Stirn und dem spitz zulaufenden Kinn erinnerte George an einen Schutzschild. Die geraden Brauen über dunkelbraunen Augen wirkten wie heraldische Wappenzeichen; eine schmale Nase schien auf den Mund zu weisen, der so geformt war, daß es immer aussah, als wolle er lächeln. George sah und merkte sich all diese Details. Bob Lucas sagte gerade: »Wenn wir also reinkommen und die Fakten festhalten könnten, dann bekämen wir ein besseres Bild von dem, was passiert ist.« Er
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