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Ein Ort für die Ewigkeit

Ein Ort für die Ewigkeit

Titel: Ein Ort für die Ewigkeit
Autoren: Val McDermid
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sahen aus dieser Entfernung wie ein gewachsener Bestandteil der Landschaft aus und erinnerten ihn daran, wie die Eigenart der geologischen Beschaffenheit die soziale Welt des Dorfs geformt hatte, in das er fünfunddreißig Jahre zuvor zum ersten Mal gekommen war. Er schaute über die Felder zu Scardale Manor hin und dachte über die Frau nach, die jetzt bald offiziell zur Schwägerin seines Sohnes werden würde. Manche würden vielleicht denken, sie und die anderen, die teilgenommen hatten, verdienten, für das Komplott bestraft zu werden, das einen Mann an den Galgen brachte, der keines Mordes schuldig war, was immer seine anderen Verbrechen gewesen sein mochten. Aber George war Vergeltung nicht wichtig. Er fand die Zukunft wichtiger als die Vergangenheit. Nichts ließ einen Menschen den Wert seines Lebens so schätzen wie ein Blick ins Angesicht des Todes.
    Deshalb machte er heute diesen Besuch. Erst vor drei Tagen hatte ihm der Arzt erlaubt, wieder Auto zu fahren, vorausgesetzt, daß er keine langen Fahrten unternahm. Von Cromford nach Scardale – das war der räumlichen Entfernung nach keine lange Fahrt, fand er. Die Entfernung lag vielmehr auf der emotionalen und psychischen Ebene: eine Spanne von fünfunddreißig Jahren und eine Vielfalt von Leidenschaften, die kompliziert und unvorhersehbar waren. In vier Tagen war die Hochzeit, die endlich mit dieser entsetzlichen Geschichte aufräumen konnte, und George war entschlossen, alles zu tun, was in seiner Macht stand, um die Gespenster endlich zu vertreiben. Und so hatte er die Frau angerufen, die er nach dem heutigen Tag nie wieder bei ihrem wirklichen Namen würde nennen dürfen, und hatte um ein Treffen gebeten.
    Vor fünfunddreißig Jahren war er zum ersten Mal diese schmale Straße entlanggefahren. Selbst damals war er mit gemischten Gefühlen gekommen. Er erinnerte sich mit bitterer Ironie an seine Begeisterung, daß er die Möglichkeit hatte, seinen ersten großen Fall zu leiten, eine mit Schuldgefühlen vermischte Freude wegen seiner Sorge um das vermißte Mädchen und ihre Familie. Nicht in seinen wildesten Träumen hätte er voraussehen können, wie das Verschwinden von Alison Carter ihn später verfolgen und nicht nur für seinen eigenen Seelenfrieden, sondern auch für das zukünftige Glück seines geliebten Sohnes zur Bedrohung werden würde.
    Die Ereignisse der letzten Jahre zeigten eine tiefe Ironie, nämlich daß an die Stelle einer Schuld eine andere trat. Er war immer überzeugt gewesen, daß er Ruth Carter irgendwie im Stich gelassen hatte, bis er endlich den Fall noch einmal mit Catherine aufrollen und betrachten und dadurch verstehen konnte, daß er unter den Umständen das Beste getan hatte, was ihm möglich war. Aber jetzt wußte er, was in Wirklichkeit in jenem bitteren Winter geschehen war, und eine neue Bürde belastete ihn. Hatte es denn keine Anlässe bei der Ermittlung gegeben, wo er hätte erkennen können, daß sich etwas abspielte, das viel weiter ging als das, was man ihm an der Oberfläche zeigte? War er vor Arroganz und Besessenheit, eine Verurteilung zu erreichen, so blind gewesen, daß er die Hinweise übersehen hatte, die ein Detective mit mehr Erfahrung erkannt hätte? Und hätte er die Wahrheit tatsächlich aufgespürt – hätte Alison Carter dadurch ein besseres Leben gehabt?
    Tommy Clough hatte dies strikt verneint und ihm versichert, daß er sich genauso hatte täuschen lassen wie George selbst. Aber das war eigentlich kein Trost. Er war sich sicher, daß Tommy einiges gesagt hätte, um ihn, einen kranken Mann, zu beruhigen.
    Welche Fehler er auch immer in der Vergangenheit gemacht haben mochte, er mußte einen Weg finden, sich mit ihnen auszusöhnen. Ob sein krankes Herz ihm noch Monate oder Jahre Zeit zum Leben lassen würde – er wollte nicht, daß diese Zeit mit unerträglichen Selbstvorwürfen vergiftet würde. Er mußte sich selbst vergeben, und vielleicht war der erste Schritt auf diesem Weg, daß er und Alison Carter einander für die wirklichen und eingebildeten Schmerzen vergaben.
    Mit einem tiefen Seufzer legte George den Gang ein und fuhr langsam auf die Straße nach Scardale zurück. Was immer die Zukunft bringen mochte, es war Zeit, den ersten Schritt auf diesem Weg zu tun und mit der Vergangenheit abzuschließen, diesmal für immer.

[home]
    Danksagung
    Es war nicht leicht, dieses Buch zu schreiben. In die noch nicht weit zurückliegende Vergangenheit einzutauchen, die vielen noch in Erinnerung ist,
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