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Ein Ort für die Ewigkeit

Ein Ort für die Ewigkeit

Titel: Ein Ort für die Ewigkeit
Autoren: Val McDermid
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zu stellen waren, aber keine fiel ihr ein.
    »Und jedesmal, wenn Sie Helen ins Gesicht blicken, müssen Sie sich bewußt sein, daß er Sie ansieht«, sagte Tommy.
    Die Muskeln an Alisons Kiefer traten hervor, als sie die Zähne aufeinanderbiß. »Als sie noch klein war, war es nicht so ausgeprägt«, sagte sie endlich. »Bis sie ihm wirklich ähnlich zu sehen begann, hatte ich gelernt, daß ich das als Hilfe für mich nutzen konnte. Der Scheißkerl hat meine Kindheit zerstört, er hat mir meine Familie und meine Freunde genommen. Er hätte mich umgebracht, wenn er entdeckt hätte, daß ich schwanger war, das weiß ich bestimmt. Er war mächtig, ich schwach. Deshalb will ich nie vergessen, wie ich dazu beigetragen habe, das Blatt zu wenden. Ich kann Ihnen sagen, sein eigenes Leben in die Hand zu nehmen ist überwältigend. Und das habe ich getan. Aber es ist viel leichter, die Kontrolle über sein eigenes Leben zu verlieren, als sie zu erlangen. Deshalb wollte ich sichergehen, daß ich nie selbstgefällig werde und meine Vergangenheit vergesse. So lernte ich, froh zu sein, daß Helen da war und mich ständig daran erinnerte, daß wir gegen diesen Mann zurückgeschlagen haben. Diesen Mann, der uns alles zu nehmen versuchte, was uns zu denen machte, die wir sind«, sagte sie leidenschaftlich. Nach einer langen Pause fügte sie in einem fast verwunderten Tonfall hinzu: »Und wissen Sie, nichts von ihm ist in ihr. Sie hat die ganze Kraft und die Güte meiner Mutter. Als ob alles, was meine Mutter zu etwas Besonderem machte, eine Generation übersprungen und sich in ihr festgesetzt hätte.«
    Tommy räusperte sich, offensichtlich erschüttert von Alisons Bericht. »Das ganze Dorf war also in das Komplott eingeweiht?«
    »Alle Erwachsenen«, bestätigte sie. »Ma Lomas sagte, alle müßten zuerst vorgeben, sie trauten der Polizei nicht, und sollten nur nach und nach tröpfchenweise etwas preisgeben. Sie und George Bennett waren wirklich ein Glücksfall. Wir konnten vorher nicht wissen, daß wir es mit zwei Polizeibeamten zu tun bekommen würden, die von dem Fall so besessen waren, daß sie nicht aufgeben würden. Das bedeutete, daß die Dörfler wirklich zurückhaltend sein konnten und, nachdem alles etwas ruhiger geworden war, trotzdem wußten, daß sie nicht hinter der Polizei herzulaufen brauchten, damit sie dranblieb.«
    Tommy schüttelte den Kopf, verwirrt von der schrecklichen Ironie. »Wir waren die Opfer unserer eigenen Integrität.« Er lächelte schwach. »Es passiert nicht oft, daß man das über die Polizei sagen kann. Aber wenn wir weniger entschlossen gewesen wären, ein Ergebnis zu bekommen und für Gerechtigkeit zu sorgen, wärt ihr mit einer Verschwörung dieser Größenordnung nie durchgekommen.«
    Einen Augenblick sagte niemand etwas. Alison stand auf und ging zum Fenster. Sie starrte über die Dorfwiese ins Tal, von dem sie in einer Dezembernacht fünfunddreißig Jahre zuvor aufgebrochen war und das sie offenbar nie zu lieben aufgehört hatte. Jetzt hatte sie es wieder, dachte Catherine, aber sie hatte einen schrecklichen Preis dafür gezahlt. Schließlich riß sich Alison von dem Anblick los, richtete sich auf und sagte: »So, und was jetzt?«
    »Das ist eine verdammt gute Frage«, antwortete Tommy.

9
    August 1998
    A uf dem Rückweg zum Haus kauften Catherine und Tommy noch eine Flasche Bushmills; so waren sie passend ausgestattet für eine Totenwache, dachte sie. Heute nacht würden sie Alison Carters Geist endgültig begraben. Morgen würden sie beide verkatert sein, aber das wäre ihr kleinstes Problem, vermutete Catherine. Für heute nacht wünschte sie sich jedoch, absolut nichts mehr zu spüren, wenn sie den Kopf aufs Kissen legte. Alles war recht, um dem Defilee des Schreckens und der Demütigungen zu entgehen, die Philip Hawkin der Nachwelt hinterlassen hatte.
    Als sie die Tür hinter ihnen geschlossen hatte, sprach Catherine zum ersten Mal, seit sie gegangen waren und Alison Carter ihren Erinnerungen überlassen hatten. »Also, das wär’s«, sagte sie. »Jetzt kennen wir die Wahrheit.« Sie ging zum Sideboard und goß für beide einen großen Whisky ein.
    Tommy nahm schweigend sein Glas entgegen. Er starrte auf die Fotos an der Wand und sah sich mit der bitteren Erkenntnis konfrontiert, daß Ma Lomas und ihr Clan die Welt lange genug getäuscht hatten, um Philip Hawkin auf den schrecklichen Weg in Richtung Justizmord zu schicken. Es war kein Trost, zu wissen, daß sein eigenes, inneres
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