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Ein Ort für die Ewigkeit

Ein Ort für die Ewigkeit

Titel: Ein Ort für die Ewigkeit
Autoren: Val McDermid
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Wir haben kein Recht, sie leiden zu lassen.«
    »Hören Sie, Tommy. Sie verheimlicht uns etwas. Man muß sich fragen, was schlimmer sein könnte als das, was wir schon wissen. Sie hat zugegeben, mit ihrer Mutter die Ermordung ihres Stiefvaters geplant zu haben, aber sie hält immer noch etwas zurück, das sie für noch schlimmer hält.«
    Tommy warf Catherine einen Blick zu, der fast schon Verachtung ausdrückte. »Und Sie glauben, Sie haben das Recht, das zu erfahren?«
    »Ich glaube, wir alle haben dieses Recht.«
    Er seufzte. »Ich hoffe, wir werden das nicht noch einmal bereuen, Catherine.«

8
    August 1998
    A lison kam mit einer verschlossenen Metallbox für Akten wieder. Sie schloß sie mit einem Schlüssel aus der Schublade des Küchentischs auf, klappte den Deckel hoch und trat zurück, als hätte sie Angst, der Inhalt könnte sie beißen. Als wolle sie in Deckung gehen, zog sie die Schultern hoch und verschränkte die Arme vor der Brust. »Ich stelle Wasser auf«, sagte sie. »Tee oder Kaffee?«
    »Kaffee, schwarz«, antwortete Catherine.
    »Tee«, sagte Tommy. »Milch, ein Stück Zucker.«
    »Ich habe genug von dieser Box«, sagte Alison, drehte sich um und ging zum Herd hinüber. »Sie können sich alles ansehen, solange Sie möchten, dann reden Sie vielleicht über meine Vergangenheit nicht mehr so verdammt leichtfertig daher«, fügte sie hinzu, drehte sich um und warf Catherine einen kurzen Blick zu.
    Tommy und Catherine näherten sich mit der respektvollen Vorsicht von Entschärfungsspezialisten, die mit einer verdächtigen Bombe hantieren. Die Box enthielt ungefähr ein Dutzend braune Umschläge, alle etwa fünfundzwanzig mal zwanzig Zentimeter groß. Tommy zog den ersten heraus. In Druckbuchstaben war mit schon verblassender Tinte MARY CROWTHER darauf geschrieben.
    Vom harmlosen häuslichen Geräusch der Kaffee- und Teezubereitung begleitet, schob Tommy den Daumen unter die Klappe des Umschlags. Er schüttete den Inhalt auf den Tisch. Dutzende von Schwarzweißfotos, einige Streifen Negative und zwei Kontaktbögen fielen heraus. Es waren keine Porträts eines unschuldigen siebenjährigen Mädchens, sondern obszöne Parodien erwachsener Sexualität und vulgärer Posen, bei denen Catherines Magen rebellierte. Auf einem Foto war Philip Hawkin zu sehen, der seine Hand zwischen die Beine des weinenden Kindes stieß.
    Es gab je einen Umschlag für Marys neun Jahre alten Bruder Paul, für die dreizehnjährige Janet, die achtjährige Shirley, die sechs Jahre alte Pauline und sogar für den dreijährigen Tom Carter, für Brenda und Sandra Lomas, im Alter von sieben und fünf Jahren, und die vierjährige Amy Lomas. Der Schrecken, der in diesen Umschlägen enthalten war, war mehr, als der Verstand fassen konnte. Es war der Rundgang durch eine Hölle, die Catherine lieber nicht kennengelernt hätte. Ihre Beine wurden schwach, und sie ließ sich auf einen Stuhl sinken, ihr Gesicht weiß und angespannt.
    Tommy wandte sich ab und steckte die Umschläge in die Box zurück. Jetzt verstand er den elementaren Drang, Philip Hawkin zu vernichten. Was Alison angetan wurde, war schlimm genug. Aber das hier war in seinem ganzen Ausmaß von Verderbtheit unendlich viel schlimmer. Hätte er vor fünfunddreißig Jahren diese Fotos gesehen, er wußte nicht, ob er seine Hände vom Hals des Mannes hätte fernhalten können.
    Alison stellte ein Tablett auf den Tisch. »Wenn Sie etwas Stärkeres möchten, werden Sie zum Pub in Longnor gehen müssen. Ich habe keinen Alkohol im Haus. Bald nachdem ich zwanzig war, habe ich eine schlimme Zeit durchgemacht, da dachte ich, die Welt sähe durch ein Glas besser aus. Dann wurde mir klar, daß er dadurch nur auf eine andere Art gewinnen würde. Und nach allem, was ich hinter mir hatte, wollte ich das, verdammt noch mal, nicht zulassen.« Ihre Stimme war kalt und hart, aber ihre Lippen zitterten, als sie sprach.
    Sie goß Kaffee und Tee ein und setzte sich am entgegengesetzten Tischende Catherine und Tommy und der Büchse Pandoras, die sie ihnen gebracht hatte, gegenüber. »Sie wollten die Wahrheit«, sagte sie. »Jetzt wird sie auch für Sie eine Last sein. Jetzt sehen Sie selbst, wie es Ihnen gefällt, damit zu leben.« Catherine starrte sie schweigend an; sie begann erst jetzt das Gewicht dieses Fluchs zu begreifen, den sie selbst auf sich geladen hatte. Ihr wurde bereits klar, daß sie sich durch diese Bilder, die sich in ihr Gedächtnis eingegraben hatten, selbst zu Alpträumen verdammt
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