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Zerfetzte Flaggen

Zerfetzte Flaggen

Titel: Zerfetzte Flaggen
Autoren: Alexander Kent
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Demonstration der Stärke
    Der steife, ablandige Wind, der während des Tages ein wenig rückgedreht hatte auf Nordwest, fegte über die Reede von New York. Er brachte kein Nachlassen der grimmigen Kälte, sondern alle Anzeichen weiteren Schneefalls.
    Heftig an seiner Ankerkette zerrend, lag dort Seiner Britannischen Majestät Schiff Trojan, bestückt mit achtzig Kanonen. Dem ungeschulten Auge einer Landratte mochte es wohl so vorkommen, als sei sie völlig unempfindlich gegen Wind und Seegang. Den Männern jedoch, die ständig ihre Arbeit an Deck oder hoch oben in der Takelage und auf den schlüpfrigen Rahen verrichteten, schien dies keineswegs so, und sie empfanden die schlingernden Bewegungen sehr deutlich.
    Es war März 1777, doch der Offizier der Nachmittagswache, Leutnant Richard Bolitho, hatte das Gefühl, als sei es noch mitten im Winter. Es wird früh dunkel werden, dachte er, die Beiboote müssen noch überprüft, ihre Vertäuung verstärkt werden, bevor die Nacht kommt. Er fröstelte, weniger infolge der Kälte als bei dem Gedanken, daß es auch nachher in den Räumen unter Deck kaum wärmer sein würde. Denn trotz ihrer stattlichen Größe und ihrer starken Bewaffnung hatte die Trojan – ein Zweidecker-Linienschiff – ihrer Besatzung von sechshundertfünfzig Offizieren, Seeleuten und Seesoldaten, die alle in ihrem umfangreichen Rumpf lebten, nicht mehr als das Herdfeuer in der Kombüse zu bieten, allenfalls noch die eigene Körperwärme der Leute – gleichgültig, wie die Elemente tobten.
    Auf dem Achterdeck richtete Bolitho sein Fernglas auf die bereits verschwimmende Küstenlinie. Während sein Blick die anderen vor Anker liegenden Linienschiffe, Fregatten und das übliche Gewirr kleinerer Versorgungsfahrzeuge streifte, hatte er Zeit, sich über die Veränderung klarzuwerden, die seit dem letzten Sommer stattgefunden hatte. Damals war die Trojan zusammen mit einem großen Flottenverband von hundertdreißig Schiffen hier bei Staten Island vor Anker gegangen. Nach dem anfänglichen Schock, den der Aufstand der amerikanischen Kolonien ausgelöst hatte, war die Besetzung New Yorks und Philadelphias, verbunden mit einer derartigen Demonstration der Stärke, den Beteiligten wie der Beginn einer Rückentwicklung, eines Kompromisses, vorgekommen. Es war alles so einfach gewesen. General Howe hatte seine eingeschifften Truppen vor der gesamten Küste von Staten Island Posten beziehen lassen, war dann mit einer kleinen Infanterieeinheit gelandet und hatte alles in Besitz genommen. Die Verteidigungsvorbereitungen der örtlichen und der Festlandsmilizen waren buchstäblich ins Wasser gefallen, und selbst die vierhundert Mann starke Besatzung der Befestigungswerke von Staten Island, die unter General Washingtons Befehl stand und das Fort unter allen Umständen und ohne Rücksicht auf Verluste halten sollte, hatte brav das Kommando »Gewehr ab« befolgt und den Treueid auf die Krone geleistet.
    Bolitho senkte das Fernglas, da eine Schneebö ihm die Sicht nahm. Es fiel ihm schwer, sich die damals grüne Insel und die bunte Zuschauermenge ins Gedächtnis zurückzurufen, die jubelnden Loyalisten, den schweigend und grimmig dreinblickenden Rest.
    Alle Farben waren jetzt einem tristen Grau gewichen. Das Land, das bewegte Wasser, selbst die Schiffe schienen ihren Glanz verloren zu haben in diesem zähen und hartnäckigen Winter.
    Er ging ein paar Schritte auf und ab; an seinen nassen Kleidern zerrte der Wind. Er war jetzt zwei Jahre an Bord der Trojan, aber es kam ihm vor wie ein ganzes Leben. Wie viele andere in der Marine, so hatte auch er zuerst gemischte Empfindungen gehabt, als die Neuigkeit von der Revolution bekannt wurde: Überraschung, Schock, Sympathie und dann Zorn, vor allem aber das Gefühl der Hilflosigkeit.
    Die Revolution, die angefangen hatte als ein Konglomerat individualistischer Ideale, hatte sich bald in eine durchaus reale Herausforderung entwickelt. Dieser Krieg war anders als alles, was sie vorher gekannt hatten. Große Linienschiffe wie die Trojan bewegten sich schwerfällig von einem Brennpunkt zum anderen und waren durchaus imstande, mit allem fertig zu werden, was leichtsinnig in den Bereich ihrer massiven Breitseite geriet. Aber der wirkliche Krieg war eine Sache der Nachrichtenverbindungen und Versorgungswege, eine Angelegenheit der kleinen schnellen Fahrzeuge wie Korvetten, Briggs und Schoner. Während der langen Wintermonate, als die überbeanspruchten Schiffe des Küstengeschwaders mehr
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