Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ein Ort für die Ewigkeit

Ein Ort für die Ewigkeit

Titel: Ein Ort für die Ewigkeit
Autoren: Val McDermid
Vom Netzwerk:
der am Steinbruch vorbeiführte. »Es gibt nur drei Familiennamen am Ort, glaube ich. Man ist entweder ein Lomas, ein Crowther oder ein Carter.«
    Kein Hawkin, fiel George auf. Er verschob die nähere Betrachtung dieser Ungereimtheit auf später. »Aber die Leute müssen doch weggehen, um zu heiraten oder Arbeit zu bekommen?«
    »O ja, die Leute gehen weg«, sagte Lucas. »Aber sie bleiben durch und durch Leute aus Scardale. Das legen sie nie ab. Und in jeder Generation heiraten ein oder zwei von ihnen jemand von außerhalb. Es ist die einzige Möglichkeit, zu vermeiden, daß man seine Cousins heiratet. Aber ziemlich oft wollen die, die nach Scardale eingeheiratet haben, ein paar Jahre später die Scheidung. Das Komische ist, daß sie die Kinder immer zurücklassen.« Er warf George einen schnellen Blick zu, fast so, als wolle er sehen, wie er dies aufnahm.
    George zog an seiner Zigarette und dachte einen Moment darüber nach. Er hatte von solchen Orten gehört, nur noch nie einen besucht. Er konnte sich das Leben in einem so abgelegenen, eingegrenzten Winkel der Welt kaum vorstellen, wo alles über Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft eines Menschen ein Wissen sein mußte, das der ganzen Gemeinde bekannt war. »Es ist kaum zu glauben, daß es einen solchen Ort so nah bei der Stadt geben kann. Wie weit ist es? Sieben Meilen?«
    »Acht«, sagte Lucas. »Es ist historisch bedingt. Sehen Sie sich mal an, wie steil diese Straßen sind.« Er deutete auf die scharfe Linkskurve, die in das Dorf Earl Sterndale hineinführte, wo sich die von der Steinbruchfirma für ihre Arbeiter gebauten Häuser wie ein zusammengedrängtes Rugbyteam an den Berghang kauerten.
    »Bevor es Autos mit brauchbaren Motoren und geteerte Straßen gab, brauchte man im Winter fast einen ganzen Tag von Scardale nach Buxton. Wenn der Weg nicht überhaupt von Schneeverwehungen blockiert war. Die Leute waren auf sich selbst angewiesen. Und in manchen Orten dieser Gegend haben sie sich das nie abgewöhnt.
    Nehmen Sie zum Beispiel das Mädchen, Alison. Sogar mit dem Schulbus braucht sie wahrscheinlich fast eine Stunde, um jeden Tag zur Schule und wieder zurück zu kommen. Die Verwaltung der Grafschaft versucht schon lange, die Eltern dazu zu kriegen, daß sie die Kinder als Internatsschüler von Montag bis Freitag in der Schule lassen, um ihnen die lange Fahrt zu ersparen. Aber von Orten wie Scardale wird das einfach kategorisch abgelehnt. Sie sehen es nicht als Hilfsangebot der Grafschaft an. Sie meinen, die Behörden wollen ihnen die Kinder wegnehmen. Die lassen nicht mit sich reden.«
    Sie brachten mehrere scharfe Kurven hinter sich und fingen an, mit angestrengt brummendem Motor einen steilen Bergrücken zu erklimmen, wobei Lucas durch die Gänge schaltete. George öffnete das Dreieckfenster und warf den Rest seiner Zigarette auf den Seitenstreifen. Ein Schwall eisiger Luft, die leicht nach Kohlenfeuer roch, reizte seinen Rachen, und er machte hastig das Fenster wieder zu. »Und trotzdem hat Mrs. Hawkin uns sofort gerufen.«
    » PC Swindells hat gesagt, sie hätte vorher an jede Tür in Scardale geklopft«, sagte Lucas trocken. »Verstehen Sie mich nicht falsch. Sie haben nichts gegen die Polizei. Sie sind nur … nicht sehr mitteilsam, das ist alles. Sie wollen, daß wir Alison finden. Und deshalb geben sie sich mit uns ab.«
    Der Wagen quälte sich den Hang hinauf und fuhr auf dem langen, abfallenden Stück Straße in das Dorf Longnor hinein. Die Kalksteinhäuser lagen geduckt und schmutzigweiß wie schlafende Schafe im Mondlicht, und Rauchwolken stiegen aus allen Kaminen ringsum. An der Kreuzung in der Dorfmitte sah George die unverkennbaren Umrisse einer Gestalt in Polizeiuniform, die mit den Füßen aufstampfte, um sich warm zu halten.
    »Das ist Peter Grundy«, sagte Lucas. »Er hätte drinnen warten können.«
    »Vielleicht ist er gespannt zu erfahren, was passiert ist. Es ist schließlich sein Revier.«
    Lucas brummelte: »Eher nörgelt seine bessere Hälfte, daß er abends noch weg muß.«
    Er bremste ein bißchen zu scharf, und der Wagen stieß an den Randstein. PC Peter Grundy beugte sich herunter, um zu sehen, wer auf dem Beifahrersitz saß, dann stieg er hinten ein.
    »’n Abend, Sergeant«, sagte er und neigte dann den Kopf ein wenig zu George hinüber. »Gefällt mir gar nicht, die Geschichte.«

2
    Mittwoch, 11. Dezember 1963, 20 Uhr 26
    B evor Sergeant Lucas losfahren konnte, hielt George Bennett ihn mit erhobenem Finger zurück.
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher