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Ein nasses Grab

Ein nasses Grab

Titel: Ein nasses Grab
Autoren: Reginald Hill
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Schlepptau nicht vollkommen straff halten, so dass sich diese sonderbare Fracht ruckartig voranschob und ihr Schwung sie am Ende jedes Schlages beinahe das Heck des Ruderboots rammen ließ, als wäre hier eine Verfolgungsjagd im Gange. Aber die Frau drehte sich nicht um, und Dalziel blieb unbeweglich stehen, in einer Mischung aus Staunen und der althergebrachten Ehrerbietung, die man einem Leichenzug auf der Straße erwies.
    Dann war ein neues Geräusch hinter dem Wäldchen hervor zu hören. Wieder ein Platschen, nicht jedoch das leise Eintauchen fachmännisch geschwungener Ruder, dazu Stimmengeschnatter und hie und da ein Ausruf.
    Noch ein Boot tauchte aus dem Nebel auf, doch wenn das erste eine Schöpfung Lord Tennysons hätte sein können, so verdankte dieses seine Existenz eher Jerome K. Jerome.
    Es war ein großer Stocherkahn von der Art, wie man ihn früher zur Entenjagd benutzte, mit einem im Bug montierten Ofenrohrgewehr, das, wenn auch durch fehlende Wartung und Nutzung verrostet, immer noch bedrohlich aussah. Fehlt hier womöglich auch die Lizenz?, fragte sich Dalziel.
    Sechs Leute saßen in dem Kahn, der gefährlich tief im Wasser lag. Das Dollbord ragte maximal drei Zentimeter über die Wasseroberfläche, und bei jedem Stangenstoß des Stocherers, den Dalziel sofort als seinen Leidensgefährten des vorangegangenen Abends identifizierte, schwappte Wasser darüber. Die brustlose Maid saß neben dem wohlbeleibten Jüngling, der noch immer denselben selbstgefälligen Ausdruck zur Schau trug. Ihm gegenüber saß ein Junge von etwa sechzehn Jahren, schmächtig zwar und mit ernstem Gesicht, dem Dicken aber noch immer so ähnlich, dass man meinen konnte, er sei diesem soeben entschlüpft. Und neben dem Jungen saß eine junge Frau, deren glattes kohlrabenschwarzes Haar und teilnahmsloses Gesicht mit den hohen Backenknochen Dalziel an ein Indianermädchen erinnerte (an Pocahontas im Volksschul-Geschichtsbuch und weniger an die Kleine Rote Feder aus den Rugby-Zoten, seine beiden einzigen einschlägigen Informationsquellen).
    Im Bug schließlich saß, lässig an das Gewehr gelehnt, ein dunkler, hässlicher Mann, wahrscheinlich in den Zwanzigern. Sein Alter zu schätzen war allerdings schwer, denn wie es aussah, probte sein schwarzes Haar gerade den Aufstand, und nur die Anhöhe seiner Nase und die Mulde seiner Augen setzten dem wirklich Widerstand entgegen.
    Trotz des pietätlosen Schlagabtausches, der zwischen der Brustlosen und dem Stocherer stattfand, war klar, dass dieses Boot im Konvoi mit dem Ruderboot fuhr. Wenn hier irgendetwas darauf hindeutete, dass eine Trauergesellschaft unterwegs war, dann höchstens der schwarze Rollkragenpullover, den der Junge trug, obwohl auch alle anderen sich zumindest ein wenig Mühe gegeben hatten. Der Dicke trug eine schwarze Binde am Ärmel seiner Tweedjacke, der Haarige hatte sich eine schwarze Rosette an sein
University-of-Love
-T-Shirt geheftet, das Indianermädchen trug zwar eine weiße Bluse und weiße Hosen, sah aber aus, als sei sie eigens für eine Beerdigung geschnitzt worden, und die Brustlose hatte eine schwarze Schleife um ihren Strohhut gebunden. Ihr einziger Schutz vor dem nächsten Regenguss, der bestimmt nicht lange auf sich warten ließe, waren ein Sonnen- und zwei Regenschirme, die alle Männer außer dem Stocherer schräg über der Schulter trugen. Dieser leistete seinen Beitrag zur Feierlichkeit des Anlasses und seiner eigenen Trockenheit in Form eines schwarzen Plastikregenmantels, unter dem er allerdings in Kricketmontur zu stecken schien. Schwimmen wäre als Sport vielleicht eher angezeigt, dachte Dalziel und verfolgte interessiert die Fortbewegungsbemühungen des jungen Mannes. Im Grunde war sein Stil nicht unelegant, wie er so die Stange hochriss und sie mit einer lässigen, flinken Drehung aus seinen starken, geschmeidigen Handgelenken wieder ins Wasser gleiten ließ. Das Problem bestand wohl darin, wie Dalziel vermutete, dass die Stange dann bis zu einem Meter tief in durchweichte Erde stieß, und die Bemühungen des Stocherers, sie herausziehen, als Bremse wirkten. Und so bewegte sich der Kahn noch ruckartiger vorwärts als der Sarg.
    Das Indianermädchen erblickte Dalziel als Erste und machte die anderen auf ihn aufmerksam. Der Dicke sagte etwas, und alle außer dem Jugendlichen lachten. Dalziel war durchaus bereit zuzugeben, dass der Anblick eines korpulenten Herrn, der allem Anschein nach auf dem Weg in ein über einen Meter tiefes Gewässer war,
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