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Ein nasses Grab

Ein nasses Grab

Titel: Ein nasses Grab
Autoren: Reginald Hill
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war randvoll. Es hatte die ganze Nacht weitergeregnet, und Dalziel war mehrmals aufgewacht und hatte das monotone Pizzicato auf dem winzigen Metallbalkon gehört, den ein besonders witziger Baumeister vor das nicht zu öffnende Fenster gesetzt hatte. Es hatte mehrerer therapeutischer Malts bedurft, um sich ein paar Stunden traumlosen Schlafs zu verschaffen, und um acht Uhr hatte er fertig gepackt und war bereit fürs Frühstück.
    Er ließ sich an der Rezeption die Rechnung geben, und just in dem Moment kam der Direktionsassistent vorbei, ohne ein Wort zu sagen. Dalziel jedoch, dem kindischer Groll fernlag, wandte sich vergnügt an ihn.
    »Hören Sie«, sagte er. »Es gibt zwei Dinge, die ich nicht mache. Ich zahle keine Mehrwertsteuer auf den Bedienungszuschlag, und ich zahle keinen Bedienungszuschlag auf die Mehrwertsteuer. Klären Sie das.«
    Es dauerte zwar eine Weile, bis das geklärt war, dennoch war er kurz nach halb zehn bereits unterwegs.
    Orburn, ein Landstädtchen mit ungefähr siebentausend Seelen, war ein Stiefkind sowohl des Fortschritts als auch der Geschichte. Nichts Weltbewegendes hatte sich hier je ereignet, und auch jetzt war keine Änderung in Sicht.
    Dalziel hatte, mehr aus Gewissenhaftigkeit denn aus Begeisterung, in einem Reiseführer durch Lincolnshire nachgelesen und wusste daher, was es über das Städtchen zu wissen gab, nämlich nur eines: Die kleine frühgotische Kirche, in der Ellie und Pascoe getraut worden waren, hatte eine schöne achteckige Turmspitze vorzuweisen, ihn dadurch jedoch nicht nachhaltig zu beeindrucken vermocht. Die einzige Wahl, die Dalziel somit zu treffen blieb, war die Richtung, die er einschlagen wollte. Die Hauptstraße (wenn man sie denn so nennen konnte) der Stadt verlief von Osten nach Westen. Sein Wagen zeigte nach Westen, also wählte er diese Richtung. Etliche Meilen später stieß er auf die von Norden nach Süden führende Fernstraße und sah sich vor die nächste Wahl gestellt. Fuhr er nordwärts, würde er nach Lincoln kommen, dem er eigentlich einen Besuch abstatten müsste. Doch in dieser Richtung lagen auch sein Zuhause und seine Arbeit, und irgendetwas sagte ihm, er würde, einmal Richtung Norden unterwegs, nicht haltmachen, bis er den betretenen Mienen von Inspector George Headingley und seinen Kollegen entnehmen konnte, dass er sich wieder auf heimatlichem Boden befand.
    Er wandte sich also gen Süden, kroch zehn Minuten halbblind im Kielwasser einer Lastwagenflotte dahin, verließ schließlich wutentbrannt die Hauptstraße und arbeitete sich über ein Netz schmaler Landstraßen wieder ostwärts. Erst jetzt erkannte er, wie nass es wirklich war. In seiner Morgenzeitung war von heftigen Überschwemmungen in einigen Teilen des Landes die Rede gewesen, aber gedruckt machte das so wenig Eindruck wie Schießereien in Ulster oder Flugzeugkatastrophen in den Anden. Jetzt allerdings, da er jedes Mal, wenn die Straße in eine Senke führte, diese mit brauner Brühe gefüllt vorfand, dämmerte ihm langsam, dass das Wetter ein entscheidender Faktor bei seinen Plänen sein würde. Schließlich blieb er stehen, teils, weil die nächste Senke verdächtig tief aussah, und teils, weil ein Wegweiser ihn auf eine von links kommende Straße aufmerksam machte oder genauer gesagt darauf, dass dort eine Straße hätte sein müssen. Parallel zu der Straße, der er folgte, verlief ein Bach, die eigentliche Ursache der ganzen Überflutungen. Und über diesen Bach spannte sich eine Buckelbrücke, jetzt allerdings eine Brücke ins Nichts. Am gegenüberliegenden Ufer war die Erde wahrscheinlich abgerutscht, der Bach hatte seine Ufer völlig zerstört, und die Brücke führte ins Wasser.
    Dalziel stieg aus dem Wagen und schaute auf den Wegweiser. Drei Kilometer weiter in seiner Richtung lag High Fold, während ihn bei besserem Wetter die Brücke nach drei Kilometern nach Low Fold geführt hätte, und nach nicht einmal zwanzig (hier lachte er freudlos), hätte er Orburn erreicht. Er sah auf die Uhr. Er hatte mehr als eine Stunde gebraucht.
    Er schlenderte hoch zur Buckelspitze und blickte hinaus auf die überfluteten Felder. Zu seiner Überraschung bemerkte er, dass der Regen aufgehört hatte, doch die Luft war noch immer sehr feucht. Es war ziemlich warm, und hinter der fadenscheinigen Wand der tiefhängenden Wolkendecke leuchtete es sogar schmutzig orange hervor. Hier versuchte vermutlich die Sonne in einem Akt der Selbstzerstörung etwas von der Feuchtigkeit der jüngsten
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