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Ein Mann wie ein Erdbeben

Ein Mann wie ein Erdbeben

Titel: Ein Mann wie ein Erdbeben
Autoren: Heinz G. Konsalik
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auf den Wellen fast ergreifend. Tschocky stand am Fenster und spürte die wohltuende Kühle der Nacht auf seiner erhitzten Haut. Hinter ihm schnarchten seine Freunde.
    »Wir fliegen morgen alle zurück nach Essen«, sagte er, obgleich ihm niemand zuhörte. »7 Uhr 17 über Paris. Ich habe die Tickets schon besorgt.«
    Nach vier Tagen brachen Feuerwehr und Polizei die Tür zum Apartment 89 auf. Nicht das Fehlen von Bob Barreis' Anblick hatte die Nachbarn erschreckt, sondern der süßliche Gestank, der im Treppenhaus schwebte und unter der Tür von Nr. 89 hervorkam. Verwesung. Leichengase.
    Das Thermometer stand auf 31 Grad im Schatten.
    Mit dem Abendflugzeug trafen Theodor Haferkamp und Hellmut Hansen in Cannes ein. Dr. Dorlach hatte sofort bei Bekanntwerden der Nachricht aus der Polizeipräfektur die Abwicklung aller jetzt anfallenden Arbeiten übernommen.
    »Ich fliege mit!« hatte Onkel Theodor gesagt, als Hellmut sich verabschieden wollte. »Schließlich ist er ein Barreis.«
    Hansen musterte Haferkamps schwarzen Anzug, die feierlich schwarze Krawatte, den schwarzen Homburg. Der Butler stand stramm neben einem schwarzen, ledernen Flugkoffer. Sogar der Werkchauffeur, bisher als einziger außerhalb des Barreis-Schlosses informiert und zur völligen Schweigsamkeit verdonnert, wartete in schwarzer Livree vor dem ›Staatswagen‹, einem Cadillac, den Haferkamp nur bei besonderen Anlässen bestieg.
    »Trauer?« sagte Hansen gedehnt. Haferkamp wurde rot.
    »Mein Junge, man muß lernen, feste Spielregeln zu befolgen, solange es sich um die reinen Regeln handelt. Es sind im Leben wenig genug. Geburt, Heirat, Tod … die Taufe ist etwas für Glücksspieler. Zu den drei großen Regeln kommen ein paar kleinere: Umarme deinen Feind und küß ihn zu Tode; sprich eine Lüge immer wie eine Wahrheit aus; sieh alles, aber schweige über alles; die Frau deines Gegners ist sein verwundbarster Punkt, und Höflichkeit ist ein Schlüssel für alle Türen. Mit diesen Weisheiten kann dir eigentlich nichts mehr passieren. Wir praktizieren jetzt eine der großen Regeln: die für den Todesfall! Wir holen einen Barreis so heim, wie es ihm gebührt: mit Ehre und Würde.«
    »Und du wirst an seinem Sarg sogar weinen können.«
    »Mit Maßen.« Haferkamp winkte. Der Butler trug den schwarzen Koffer zu dem schwarzen Wagen mit dem schwarzen Chauffeur. »Trauer ist eine der obligatorischen Regungen, die man erwartet.«
    »Und ein Alibi.«
    »Auch! Ich habe Dr. Dorlach beauftragt, alle Schritte für eine Barreis-Stiftung einzuleiten.«
    »Mein Gott, auch das noch.«
    »Eine Stiftung zur Unterstützung dauerkranker Arbeiterkinder der Barreis-Werke. Ich habe eine Liste in den Akten … es sind bisher achtundzwanzig Kinder, die eine Heimbetreuung brauchen. Ich werde dieses Heilzentrum bauen und es ›Robert-Barreis-Heim‹ nennen.«
    »Und alles von der Steuer absetzen.«
    »Natürlich.« Haferkamp sah Hansen an, als habe dieser einen Meuchelmord an ihm vor. »Junge, habe ich mit dir einen Träumer zum Direktor gemacht? Bob hat uns genug Geld gekostet … endlich bringt er uns was ein! Das ›Barreis-Heim‹ wird natürlich auch vom Staat bezuschußt werden, von den Kirchen, von Fernsehlotterien, von Sammlungen. Der Name Barreis wird wie ein Gral leuchten.« Theodor Haferkamp klopfte dem starren Hansen auf die Schulter. »Du bist noch jung, Hellmut. Du käust noch Idealismus wieder und verklebst dir die Zähne mit dem zähen Kaugummi der Menschenwürde. Es ist alles Geschäft, mein Junge, alles … selbst die ewige Seligkeit mußt du dir mit der Kirchensteuer erkaufen. Keine Steuern, kein Himmel – wenn Gott, der in diesem Himmel sitzen soll, diese Kommission seiner Vertreter auf Erden annimmt – beiliegend zehn Steuerbescheide, bitten um Verbuchung in der himmlischen Hauptkartei –, habe ich, der kleine, schwache Mensch und darüber hinaus laut Bibel ja ein Ebenbild Gottes, keine Skrupel, genauso zu sein wie mein hoher Herr. Noch Fragen, Herr Direktor Hansen?«
    »Ja. Betrachtest du mich als einen Affen, der auf deinem Leierkasten sitzt und sich flöht?«
    »Nein, Hellmut.« Haferkamp legte den Arm um Hansens Schulter und schob ihn die große Freitreppe hinab zum Wagen. Der Chauffeur zog mit Trauermiene seine schwarze Mütze.
    »Mein Beileid, Herr Generaldirektor«, sagte er. »Mein Beileid, Herr Direktor –«
    »Danke, Hubert.« Haferkamp behielt den Arm um Hansens Schulter. »Ein Affe bist du nicht. Aber du wirst einer, wenn du glaubst, dieses
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