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Ein Mann wie ein Erdbeben

Ein Mann wie ein Erdbeben

Titel: Ein Mann wie ein Erdbeben
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Mitleid! Mitleid ist etwas Großes, Edles, Menschliches. Aber bei dem Ausdruck ›menschlich‹ zucke ich schon wieder zusammen. Ich frage: Wer hat Mitleid mit Bob Barreis? Lundthaim?«
    Erwin Lundthaim schwieg, stand auf und ging aus dem Raum. Leicht schwankend, wie auf einem Schiff bei mittlerem Seegang.
    »Schuhmann?«
    Hans-Georg Schuhmann lief nicht davon. Aber er blickte an Tschocky vorbei auf die Terrasse des Hotels. In den Palmenkronen summte der Meerwind.
    »Auch keine Antwort!« Tschocky lehnte sich auf der Couch zurück. »Ich will's euch sagen: Ich habe Mitleid mit Bob Barreis. Aber es ist das Mitleid für ein angeschossenes Tier. Kein Jäger wird sich da vor dem Fangschuß drücken –«
    Fissani kam nicht weit mit seinen Ampullen.
    Bewußt lenkte er seine Schritte in jene Gegend von Cannes, die von den Touristen nur besucht wird, wenn man wissen will was pittoresk ist. Das ist ein ausgesprochen vornehmer Ausdruck für verkommen und arm, dreckig und baufällig, vom Wunder des Geldes vergessen und vom Fatalismus bewohnt. Wer hier vegetiert, hat sich daran gewöhnt, Folklore zu sein … und damit verdient er sein Geld, indem er sich ausstellt: zerrissene Kleider, ungewaschene Füße, die schmutzige Wäsche auf den Leinen, der Gestank aus den Hausfluren, die Schar der dreckigen Kinder, die mit Staub spielen können wie andere Kinder mit teuren Eisenbahnen.
    Hier blieb Fissani stehen, als suche er eine Hausnummer, ging dann langsam weiter und ließ Bob Zeit genug, sich daran zu gewöhnen, ein Straßenräuber zu werden.
    Es war kein leichter Schritt vom Barreis-Erben zum Briganten.
    Bob zögerte, selbst als die Gegend so dämmerig wurde, daß ein Schlag auf den Hinterkopf vor ihm keinerlei Reaktion der Umgebung ausgelöst hätte. Fissani blieb sogar stehen und holte das kleine Päckchen aus der Tasche. In Papier gewickelt mit Kordel verschnürt.
    Komm doch, du blöder Hund, dachte er. Soll ich's dir noch leichter machen?! Die Beule, die du mir überziehst, ist sechstausend Francs wert. Nun schlag schon zu – En avant, mon camarde.
    Er tat wieder so, als suche er ein Haus. Ein Hund, der aus einer Hausnische trottete, blickte die beiden Menschen triefäugig an, umkreiste sie leise knurrend und lief weiter. Jetzt muß es passieren, dachte Fissani. Jetzt weiß dieser Kerl, daß ich weiß, daß ich nicht allein bin. Wenn er nicht angreift, muß ich etwas tun. Das ist einfach Logik!
    Bob dachte genau das gleiche. Der Hund – er hätte ihn verfluchen können – trieb ihn zur Tat. Es war keine Zeit mehr da, anders zu handeln, nicht einmal Zeit, um wegzulaufen. Nur noch Zeit, ein Lump zu werden. Für dich, Claudette, dachte Bob. Ich habe meinen Freund Lutz Adams verbrennen lassen – aus Feigheit –, ich habe den Bauern Gaston Brillier in den Tod gejagt – aus Angst –, ich habe mein Kindermädchen Renate Peters von der Autobahnbrücke gestoßen – um die Wahrheit zu vernichten –, der alte Adams hat sich aufgehängt – ich war der Anlaß dazu –, meine Frau Marion stürzte sich von einer Brücke in den Rhein – weil sie mich liebte und doch vor Grauen nicht mehr leben konnte – das ist eine Liste, nach deren Herunterbeten Gott ohnmächtig vom Thron fallen müßte. Aber was ich auch getan habe, es war eine Klasse darüber, es war nicht diese miese Straßenräuberei, das niedrigste Handwerk der Zunft, das geistloseste, das nach Hering und Sauerkohl riechende Verbrechen. Aber für dich, Claudette, springe ich in die Kloake, nur ein einziges Mal … ich werde mich reinigen in deiner Liebe.
    Er hatte keinen Knüppel bei sich, keinen Totschläger, keinen Schlagring, wohl aber einen Schlüsselbund, und das genügte. Wie ein Rocker legte er den Bund in die Hand, drückte die Schlüssel zwischen den Fingern durch und erhielt so eine Faust voller Stacheln. Damit trat er nahe an Fissani heran, holte tief Atem und schlug zu. Auf den Hinterkopf, sofort zurückzuckend, um erneut zuzuschlagen, wenn der Mann sich umdrehte.
    Der Laut auf dem Schädel Fissanis war kaum zu hören, und Bob sagte sich erschrocken, daß er zu sanft gewesen war, gehemmt durch den letzten Gedanken, daß ein Barreis nun ein Straßenräuber geworden war. Aber der Mann vor ihm schien genug zu haben. Lautlos drehte er sich etwas, sank auf die Straße und ließ das kleine Päckchen fallen.
    Noch als er kniete, griff Bob Barreis nach den Ampullen, steckte sie in die Tasche und rannte davon.
    Piero Fissani lag auf dem Pflaster, gemütlich auf der
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