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Ein Mann wie ein Erdbeben

Ein Mann wie ein Erdbeben

Titel: Ein Mann wie ein Erdbeben
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Hirn … wie phantastisch … Die Erde hat Blutkreis und Adern, sie atmet, und ihr Herz klopft … aber sie hat kein Hirn! Sie sähe anders aus, wenn sie auch noch ein Hirn hätte!«
    Die Stimme wurde schwächer … verlor sich im Lallen … irrte durch Lachen und Stöhnen … verfing sich in Seufzern … erstarb langsam, immer schwächer werdend, in einem Röcheln, das wie ein Trommelwirbel klang.
    Rattatata … rattatata … marschiert in die Ewigkeit …
    Dann Stille … das Band drehte sich weiter, ohne Ton, nur nach einer unendlich langen Minute ein leiser Fall. Und dann endgültige Stille … Eishauch aus dem Nichts … Hansen stellte das Band ab, schlug die Hände vor die Augen und weinte. Er ließ sie davor, als eine Hand seine Schulter berührte.
    »Ich habe alles angehört«, sagte Haferkamp. »Ich bin dir nachgegangen, Hellmut. Du hast recht … im Kriege stirbt sich's anders. Aber um eines klarzustellen: Auch du hättest jetzt Bob nicht mehr retten können. Dreimal denselben Menschen dem Tod von der Schippe holen … das gibt es nicht. Er hat sich selbst verbrannt … wir wußten das immer. Die einen übergießen sich mit Benzin, die anderen leben ihr Leben weg … die einen bewundert man, die anderen stößt man aus. Im Grunde sind es alles Verzweifelte … und warum?«
    »Weil sie die Weisheiten eines Theodor Haferkamp nicht kennen –«, sagte Hansen bitter. Er stand auf, drückte das Tonband an sich und verließ in der Haltung eines Nachtwandlers die Wohnung.
    Ein halbes Jahr später stand auf dem Grab des Robert Barreis in Vredenhausen ein großes Denkmal. Der Düsseldorfer Bildhauer Professor Schobs hatte es entworfen und in seinem Atelier in weißen Carrara-Marmor hauen lassen: ein Engel, der einen jungen Mann vom Boden aufhebt, um ihn in die Seligkeit zu tragen.
    Das war zwar Kitsch, aber Haferkamp gefiel es, Professor Schobs erhielt ein königliches Honorar, und die Bürger von Vredenhausen standen staunend vor dem Marmorengel. Sonntags pilgerten sie zum Friedhof, um das Grab von Bob Barreis anzustaunen. Das Denkmal wurde zum Sonntagsausflugsziel.
    Mehr wollte Haferkamp auch nicht. Er ließ sogar Bänke rund um den Engel aufstellen … es bürgerte sich bald ein, daß die alten Leutchen von Vredenhausen hier im Sommer saßen, Zeitung lasen und strickten. Der Name Barreis blieb allen im Auge, im Herzen, auf den Lippen … von der Wiege bis zum Grabe, im buchstäblichen Sinne.
    Im Herbst des nächsten Jahres verließ Hellmut Hansen die Werke. Haferkamp hatte nichts dagegen … das Vertrauen zueinander war empfindlich gestört.
    »Zwei verschiedene Welten reiben sich immer auf«, sagte Haferkamp bei der Verabschiedung. Er hatte mit seinen Verbindungen dafür gesorgt, daß in der deutschen Industrie kein annehmbares Angebot für Hansen vorlag. Als ein US-Konzern den jungen Manager anstellte und hinüber nach Minnesota holte, atmete Haferkamp deutlich auf. Die ständige Mahnung verflüchtigte sich in den Weiten der Prärie. Es gab jetzt wirklich nur noch einen Barreis-Erben, auch wenn er fünfundsechzig Jahre alt war. Man ist nie zu alt für einen goldenen Sessel. »Erobere Amerika mit deinen Ideen … in Vredenhausen hat einmal 1327 ein Wagenzug der Hanse Rast gemacht und seine Suppe auf einem Feuer aus Vredenburger Holz gekocht. Seitdem ist das hier so geblieben: ein Herr und sein Volk. Begreifst du das nicht klar, Hellmut?«
    »Nein!« Hansen sah Haferkamp an wie einen völlig Fremden. Er war ihm auch fremd, das spürte er jetzt deutlich. Er war kein Barreis. Nie war er das gewesen, auch wenn er dazu dressiert werden sollte. »Ich begreife bloß, daß du dich überlebt hast! Du bist ein Fossil geworden!«
    »Mag sein.« Haferkamp lächelte schief. Er war zu bequem, sich jetzt, in der Stunde des Abschieds für immer, mit einem Idealisten wie Hansen zu streiten. »Warum fährst du eigentlich nach Amerika? Wäre der Weg nach Moskau nicht sinnvoller gewesen?«
    »Vielleicht. Man kann auch von Minnesota nach Sibirien fliegen. Und eines sollten wir wissen, Theodor Haferkamp: Ihr sät alle auf einem verdammt fauligen Boden. Heuchelei war nie ein guter Dünger.«
    »Irrtum!« Haferkamp lachte rauh. Es tat ihm gut, Hansen zum Abschied diesen Stoß zu versetzen. »Ich kenne eine Institution – nenne keinen Namen, lieber Theo –, die seit fast zweitausend Jahren durch Heuchelei lebt! Die Barreis' bestehen seit vier Generationen … wir haben also noch viel Zeit, um zu verschimmeln.«
    Ob er recht
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