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Ein liebender Mann

Ein liebender Mann

Titel: Ein liebender Mann
Autoren: Martin Walser
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sie, aber jetzt   … aber immer noch schmucklos. Nackt der Hals, die Ohrläppchen. Hatte sie im letzten und im vorletzten Sommer auch keinen Schmuck getragen? Vielleicht weil das Wetter zu schlecht gewesen war. Aber jetzt, in diesem gewaltigen Sommer! Wollte sie sich unterscheiden von all den mit Schmuck behangenen Frauen?
    Da kam sie. Ein fast farblos grünes Kleid, das ihre Figur mit vielen kleinen Knöpfen genau nachzeichnet. Den runden Ausschnitt mit Spitzen besetzt. Ihre Haare immer ein bisschen loser als alle anderen Frauen. Er konnte mühelos aufstehen. Sie grüßte. Fast munter. Das war nicht seine Stimmung. Auf jeden Fall konnte er diesen Ton nicht mithalten. Aber als sie auf dem Sofa saß, in einer Sofa-Ecke, einen Arm auf dem großen gelben Kissen, da konnte er hin und her gehen und reden wie zu mehreren. Gleich kam auch der Schreiber John, reichte das Tablett, auf dem die Post sich häufte.
    Ach die Post, sagte er. Ach nein, lieber John, wenn man solchen Besuch hat, liest man keine langweiligen Briefe. Ach, bleiben Sie, ich will meinem Besuch doch noch zeigen,wie es hier zugeht. Oh, Moment, da ist sogar etwas Eiliges. Sehen Sie, sagte er zu Ulrike, so genau sind wir eingestellt auf einander, dass mein guter John die einzige Post, die keinen Aufschub duldet, oben drauf legt. Dringend ist das, weil die Königliche Hoheit in sieben Tagen Weimar verlässt, also muss heute noch dieses Schreiben hinaus. Bitte, John. Darf ich, fragte er noch zu Ulrike hin.
    Sie müssen, sagte sie.
    Diktierend ging er vor Ulrike auf und ab: Unsers gnädigsten Herrn Königliche Hoheit haben Unterzeichnetem zu eröffnen geruht, dass Höchst Dieselben den guten Bergrat Lenz bei seinem bevorstehenden Jubiläum mit einigen fürstlichen Geschenken zu erfreuen die Absicht hätten, wozu nachstehende Gaben vorläufig bestimmt seien. Die Festlichkeit werde in einem Gastmahl bestehen. Nun wären meine unvorgreiflichen Vorschläge: Als Hauptstück stellt man den Vesuv dar, eine starke Lava ausgießend; unter diesem könnte die Medaille Platz finden, die der Gefeierte erhalten soll. Er unterbrach und fragte Ulrike: Verstehen Sie?
    Ulrike wollte wissen, was unvorgreifliche Vorschläge seien.
    Das sei eine höfliche Umschreibung für ein nicht eigenmächtiges Vorwegnehmenwollen.
    Und was heißt das, fragte Ulrike.
    Mein Vorschlag soll nur ein Vorschlag sein, entscheiden soll der Großherzog. Verstehen Sie, Bergrat Lenz ist leidenschaftlicher Neptunist, und zu seinem Jubiläum wird ihm zum Dessert eine Vulkantorte serviert, auf deren Grund er die Medaille findet, die ihm verliehen wird. Allerdingssoll der Großherzog bei seiner Entscheidung meinen Vorschlag schon mitwirken lassen.
    Ulrike: Aber eben unvorgreiflich.
    Goethe: Genau.
    Ulrike: Ein wunderbares Wort. Ich werde die Mutter heute bitten, nicht schon wieder das grelle Blaue anzuziehen, mein unvorgreiflicher Vorschlag wäre: das Hellbeige.
    Goethe: Und sie wird gehorchen.
    Ulrike: Also ist unvorgreiflich eine Art Befehl.
    Goethe: Die höflichste Art, etwas dringend zu wünschen.
    Ulrike: Und noch wichtiger, es ist ein Kompliment, der andere fühlt sich inbegriffen. Ich traue ihm zu, dass er mich ganz und gar versteht. Das schmeichelt ihm. Der Herr Geheimrat ist raffiniert.
    John, wir hören für heute auf.
    John ging. Goethe setzte sich neben Ulrike aufs Sofa und sagte, er möchte alles, was er je zu ihr sage, unvorgreiflich nennen. Das werde ihm den Mut geben, mehr zu sagen, als er dürfe. Darf ich Sie unvorgreiflich einen Augenblick zur Königlichen Hoheit machen?
    Ich bin in einem nachrevolutionären Internat erzogen worden, sagte Ulrike, Königliche Hoheit sind gespannt.
    Goethe sprang auf, ging vortragend hin und her: Eine geziemend treue Bitte wäre noch übrig. Möchten Höchst Dieselben mich mit fortdauernder Huld beglücken, meiner wohlwollendst gedenken und mir bei nächster Zukunft Gelegenheit zu mannigfaltigster Mitteilung gnädigst gewähren.
    Er stand vor ihr, wäre gern auf die Knie gesunken, wussteaber, dass das Aufstehen misslingen konnte. Sie reichte ihm ihre Hand zum Handkuss. Er hielt ihre Hand ungebührlich lange, berührte aber den Handrücken mit seinen Lippen nur ganz wenig. Fast nicht.
    Ulrike sprang auf. Ach, Exzellenz, sagte sie, was so eine Revolution alles kaputt macht.
    Und er zurück im Umgangston: Ganz unvorgreiflich möchte ich jetzt sagen, dass ich meine Zeit nur noch mit Ihnen verbringen möchte.
    Noch wüsste ich nicht, sagte sie, was ich dagegen haben
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