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Ein liebender Mann

Ein liebender Mann

Titel: Ein liebender Mann
Autoren: Martin Walser
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auch Augen. Was verändert Augen mehr, von außen ein anderes Licht oder von innen eine andere Stimmung? Ulrikes Augen sind, weil uns das Wetter gerade eine dicke Kumuluswolke vor die Sonne schiebt, in diesem Augenblick – und ist das nicht ein köstliches Sprachangebot: Augenblick – sind in diesem Augenblick dabei, von Blau nach Grün zu wandern. Wenn die Wolke bleibt, haben wir es mit einer grünäugigen Ulrike zu tun. Graf Sternberg, dieses Doppelphänomen, ob die äußere Ursache oder eine innere überwiegt, sollte uns interessieren. Herzlich willkommen, gnädige Frau, und ihr, das liebenswürdigste Trio der Welt, herzlich willkommen.
    Die sechzehnjährige Amalie, die am ehesten, was Rederaschheit angeht, der Mutter glich, sagte: Wir sind überhaupt kein Trio, wir sind Einzelne, wenn’s recht ist, Herr Geheimrat.
    Und ob mir das recht ist, sagte Goethe und sah wieder zu Ulrike hin. Ulrike schaute immer noch so ruhig, so fest, wie sie ihn empfangen hatte. Er blieb in ihrem Blick. Er spielte den Augenforscher. Aber das war er nicht. Das mochten die anderen glauben. Ulrike glaubte das nicht. Und er glaubte das auch nicht. Sie schaute ihn an, nur um zu zeigen, dass sie ihn anschaue. Bevor er das Blick-Thema verließ, sagte er noch: Ulrike, manche Männer werden Ihnen später blaue Augen attestieren, andere werden sagen, Ihre Augen seien grün. Ich sage: Lassen Sie sich, bitte, nicht festlegen.
    Er nahm ihn nachher mit sich auf sein Zimmer, diesen Blick. Man hatte gegessen mit einander, geplaudert, die Erinnerung an das vergangene Jahr und an das Jahr davorwieder wachgeplaudert. Im vorvergangenen Jahr, dieses miserable Wetter, da hat es doch einen Monat lang nur geregnet. Ohne die tausend Einfälle des Herrn Geheimrat hätte man das gar nicht ausgehalten. Mit seinen Steindarbietungen ist er allerdings nur bei Amalie angekommen. Extra ein Zimmer hat er gehabt mit Tischen nur für die Steine, die der Diener Stadelmann aus der ganzen Gegend zusammenklopft. Amalie ist heute noch ein bisschen beleidigt, weil der Herr Geheimrat für Ulrike zwischen die Steine ein Pfund Schokolade gelegt hat, um ihr die Steine attraktiv zu machen.
    Und zwar ganz frisch aus Wien geholte Schokolade, sagte die Baronin, von der berühmten Konditorei Panel!
    Und noch mit einem Gedicht, sagte Bertha, die auch zu Wort kommen musste.
    Ach, sagte er, ein Gedicht.
    Sie kann es noch, sagte Frau von Levetzow.
    Bevor Goethe noch sagen konnte, bitte, sag es mir doch, trug Bertha das, was sie ein Gedicht genannt hatte, geradezu kunstvoll vor:
    Genieße dieß nach deiner eignen Weise,
    Wo nicht als Trank, doch als beliebte Speise.
    Ich möchte immer noch wissen, warum es hier Granitblöcke gibt, die von ockergelben Adern durchzogen sind, sagte Amalie, um wieder auf ihr Interesse für Steine aufmerksam zu machen.
    Bravo, sagte Goethe, bravo.
    Der Graf empfahl sich. Er wolle, was er vorher mit Goetheüber Vulkanismus und Neptunismus gesprochen habe, noch ein wenig ordnen. Winkte allen zu, verneigte sich und ging.
    Goethe sah ihm nach. Drei solche, und ich würde dem lieben Gott Komplimente machen.
    Was ist Vulkanismus, rief Amalie ganz schnell und schaute dabei nicht den an, den sie fragte, sondern ihre Schwester Bertha, der sie zuvorgekommen war.
    Dann frag ich, was Neptunismus ist, rief Bertha, die ihre um zwei Jahre ältere Schwester in allem übertreffen wollte.
    Und ich, sagte Goethe, sag euch allen, dass die Gelehrten sich streiten, ob die Erdoberfläche, wie wir sie heute haben, durch Feuer gebildet wurde, das sich dann in die Tiefen zurückzog und durch Vulkane immer noch auf seine frühere Rolle aufmerksam macht, oder durch Wasser, das sich allmählich zurückzog, dass die Meere entstanden.
    Und Sie, fragte Ulrike, was denken Sie.
    Ich denke, dass man, was man zur Zeit nur durch Vermutung entscheiden kann, nicht entscheiden soll. Aber da man unwillkürlich doch immer irgendwohin tendiert, gesteh ich, ich bin ein wankelmütiger Neptunist.
    Ich weiß nicht, was ich damit anfangen soll, sagte Ulrike ziemlich heftig. Und sagte es nur zu Goethe. Wieder mit dem Blick.
    Goethe fragte, ob er mehr sagen solle, als er wisse.
    Da es sich um Naturwissenschaft handle, sagte sie, und nicht um Lyrik, dürfe Entschiedenheit erwartet werden.
    Oh, sagte Goethe, unsere Ulrike führt nicht weniger als die Kritik der reinen Vernunft im Schilde.
    Die Mutter: Sie müssen wissen, dass sie in Straßburg inzwischen Contresse Ulrike heißt.
    Für Amalie eine Gelegenheit zu
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