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Der Eunuch

Titel: Der Eunuch
Autoren: Johannes Tralow
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    Es lag Schwüle über der Scheide zweier Kontinente. Mochte ein leicht verspielter West auch hier und da Schaum über die Wellen der Meerenge tupfen, gerade so viel, um dem schönen Gewässer Heiterkeit zu verleihen, so umschwebte dennoch eine Beklommenheit die Uferpaläste, die Moscheen und die Städte an beiden Ufern des Bosporus. Nicht jedermann freilich spürte die Drohung in ihrem Ernst. Der Padischah schon gar nicht. Mochten auch die wilden Hunde auf den Straßen infolge der nicht allzu friedlichen Stimmung seltener und scheuer geworden sein, weil sie Unruhe und Aufruhr, der immer Gefahr war, zu wittern vermochten - Ahmed III., der Kaiser zweier Weltteile und Meere, wußte weit weniger von den Straßen seiner Stadt und seiner Städte als der dreckigste Bastard von einem Schakal, der sich um ihre Sauberkeit durch das Vertilgen von Aas verdient machte.
    Der Großherr bekam die Wege, deren Staub die Sohlen seiner Untertanen aufwirbelten, nie so zu sehen, wie sie waren. Wenn er nicht umhin konnte, sich ihrer in seiner Eigenschaft als Kaiser zu bedienen, sah er nur Gold, Silber und Juwelen, sah er alle Farben des Regenbogens in den Gewändern seiner hohen und höchsten Umgebung, Pferde sah er, deren Stammbäume mit dem seiner eigenen erlauchten Familie wetteiferten und sich im Halbdunkel der Mythe und Dichtung verloren. Statt trocknender Wäsche erblickte er die satten Farben arabischer und persischer Teppiche in den Fenstern. In Duftwolken und auf einem Pfad von Blumen schritt sein Pferd. Alles verwandelte die allerhöchste Gegenwart in Pracht, sogar diese engen, krummen Straßen mit ihren hohen Häusern aus Holz. Wo die Majestät hintrat, war das Serail - auch im Truppenlager war es und selbstverständlich im kaiserlichen Uferpalast zu Skutari auf der asiatischen Seite.
    Dort verschloß der Kaiser sich jetzt mit seinen Wesiren und den Würden des Hofes vor einer zudringlichen Außenwelt.
    Im letzten Krieg mit Österreich und dem Römischen Reich Deutscher Nation hatte er Ungarn, das Banat Temesvar, Serbien mit Belgrad und die kleine Walachei eingebüßt. Obwohl er zum Ausgleich den venezianischen Peloponnes erobert und dadurch seine Mittelmeerstellung gefestigt hatte, wollte er von verlorenen Schlachten nichts mehr hören. Seine Türken waren noch immer die gleichen todesmutigen Männer von einst - aber das war es eben: sie waren die gleichen geblieben. Diese Abendländer jedoch, und nicht zuletzt diese Deutschen, waren andere geworden. Diese Ungläubigen hatten jetzt ebenfalls Ingenieure, die den früher so berühmten türkischen Piaden, den Pionieren, nichts nachgaben, ja sie übertrafen, so voller Listen und Tücken waren sie, deren man sich nicht immer gleich versah. Nach dem schrecklichen Mißgeschick bei der Belagerung von Wien und nach allem, was dann gekommen war, zweifelte der Erhabene nicht mehr, daß ihm und seinen Nachfolgern der Weg in das Herz des Abendlandes verlegt sei. Aus dieser schmerzlichen Erkenntnis hatte der gemächliche Mann dann die ihm notwendig erscheinende Folgerung gezogen.
    Nein, Ahmed wollte keinen Krieg.
    Die kleine Katzbalgerei mit dem Zaren Peter zählte nicht. Mit dem türkischen Sieg am Pruth hatte sie ein schnelles Ende gefunden. Die persische Angelegenheit gar war überhaupt mehr als bewaffnete Grenzberichtigung und keineswegs als Krieg gedacht.
    Es war alles ganz einfach gewesen. Der Großstaat Persien hatte sich in Auflösung befunden, worauf Türken und Russen übereingekommen waren, die persischen Westprovinzen unter sich aufzuteilen. Schließlich war auch vom afghanischen Usurpator Eschref um den Preis seiner Anerkennung als persischer Schah zugestimmt worden, und keinem der hohen vertragschließenden Teile hatte es etwas ausgemacht, daß weder den Nehmenden noch den Gebenden von den abgetretenen und besetzten Ländern auch nur ein Quadratfuß gehört hatte.
    Von den westlichen Nachbarn war also Persien beraubt worden, und der Friede hätte wiederhergestellt werden können, wenn die Perser selbst ihren rechtmäßigen Schah nicht wieder an die Macht gebracht hätten. Das war gar nicht vorgesehen gewesen, auch nicht, daß Tahmasipschah, der echte Erbe des Reiches, sein Eigentum zurückverlangen und dabei nicht einmal auf des türkischen Kaisers friedliche Gesinnungen Rücksicht nehmen würde. Im Gegenteil!
    Da die Verhandlungen des persischen Botschafters trotz glänzender Feste nicht recht vorangekommen waren, hatte Tahmasip seine Truppen in die ihm gehörenden Gebiete
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