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Ein Kuss vor Mitternacht

Ein Kuss vor Mitternacht

Titel: Ein Kuss vor Mitternacht
Autoren: Candace Camp
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begegnet, die ihr in ihrer Jugend gesagt hatten, ihre grauen Augen seien schön und ihr dunkelbraunes Haar habe einen goldenen Schimmer. Hatte Lord Leighton hinter ihrem unscheinbaren Äußeren das hübsche Mädchen von einst gesehen?
    Constance wünschte sich, er fände sie attraktiv und begehrenswert. Sie wollte nicht nur eine leichte Beute männlicher Begierden sein.
    Aber wie sollte sie wissen, was Lord Leighton fühlte, wenn sie nicht einmal wusste, was sie selbst fühlte? Sie hatte ihn vom ersten Moment an gemocht. Er hatte sie zum Lachen gebracht, und sie hatte gerne mit ihm geplaudert. Aber da war noch etwas gewesen … Sie hatte eine gewisse Spannung gespürt, sobald er in die Bibliothek getreten war. Die Art, wie er sie anblickte, wie er lächelte, hatte eine ungewöhnliche Wärme in ihr ausgelöst, ein prickelndes Verlangen. Und als er sie küsste, waren Gefühle in ihr aufgelodert, die sie nie zuvor empfunden hatte. Gefühle der Lust, der sinnlichen Leidenschaft, die eine Frau ins Verderben führten, wenn sie den Verlockungen erliegen sollte.
    Solche Sinnesstürme hatte sie nie selbst erlebt, und sie war zu der Überzeugung gelangt, dass sie sie auch nie kennenlernen würde. Mit achtundzwanzig verwahrte sie sich allein schon aus Selbstschutz gegen derlei Erfahrungen, da sie der Überzeugung war, alle Chancen auf ein romantisches Liebeserlebnis ohnehin längst verpasst zu haben. Wie sich herausstellte, war sie offenbar doch noch nicht zu alt, um verbotene Sehnsüchte zu haben, dachte sie mit einem stillen Lächeln.
    Constance betrat den Ballsaal durch eine Seitentür. Die Luft in dem überfüllten Raum war stickig und parfumgeschwängert; unerträglicher Lärm schlug ihr entgegen. Sie bahnte sich mühsam einen Weg durch das Gedränge, bis sie endlich auf Onkel und Tante stieß.
    Zu ihrer Überraschung stellte ihre Tante sie nicht wegen ihres langen Fortbleibens zur Rede. Im Gegenteil, sie strahlte Constance an, ergriff ihren Arm und zog sie zu sich.
    „Was hat sie erzählt?“, fragte sie, vor Neugier brennend und beugte sich zu Constance, damit ihr nur kein Wort in dem Getöse entging. Zu ungeduldig, um auf die Antwort ihrer Nichte zu warten, sprudelte es aus ihr heraus: „Man denke sich nur, Lady Haughston schenkt uns ihre Aufmerksamkeit! Mir wäre beinahe das Herz stehen geblieben vor Schreck, als Lady Welcombe sie mit uns bekannt machte. Nie im Leben hätte ich mir träumen lassen, dass eine Berühmtheit wie sie unsere Bekanntschaft zu machen wünscht. Was hat sie gesagt? Wie ist sie denn so?“
    Es kostete Constance einige Mühe, ihre Konzentration auf den Rundgang mit Lady Haughston zu lenken, den sie durch den aufwühlenden Zwischenfall in der Bibliothek beinahe vergessen hätte.
    „Sie war sehr freundlich“, antwortete sie. „Ich finde sie ausgesprochen sympathisch.“
    Sollte sie Lady Haughstons Angebot, sie morgen auf einen Stadtbummel zu begleiten, erwähnen? Im Rückblick glaubte Constance allerdings nicht, dass die vornehme Lady die Einladung ernst gemeint hatte. Der Gedanke erschien ihr geradezu absurd, dass eine Frau in Lady Haughstons Position den Wunsch haben könnte, sich mit ihr anzufreunden. Constance entstammte zwar einer unbescholtenen Familie aus niederen Adelskreisen, deren Stammbaum sich bis zu den Tudors zurückverfolgen ließ, aber ihr Vater führte nur den Titel eines Baronets, und ihre Familie war nicht wohlhabend. Sie hatte mit ihrem Vater ein beschauliches Leben auf dem Land geführt, und vor dieser Ballsaison war sie noch nie in London gewesen.
    Constance konnte sich nicht vorstellen, was Lady Haughston veranlasst haben mochte, ausgerechnet sie als Begleiterin auszuwählen. Obwohl sie in keiner Weise angeheitert gewirkt hatte, konnte Constance sich des Verdachts nicht erwehren, der süße Punsch sei der eleganten Dame womöglich zu Kopf gestiegen. Was immer der Grund für ihre Annäherung auch gewesen sein mochte, bis morgen würde sie alles vergessen haben … oder ihre spontane Einladung bedauern. Jedenfalls rechnete Constance nicht damit, dass Lady Haughston sie morgen abholen würde. Deshalb hielt sie es für klüger, Tante Blanche nichts davon zu erzählen, um später nicht als Aufschneiderin verlacht zu werden.
    „Aber was hat sie erzählt?“, fragte Tante Blanche gereizt. „Worüber habt ihr gesprochen?“
    „Über nichts von Bedeutung“, antwortete Constance ausweichend. „Sie erkundigte sich, ob ich schon mal in London gewesen sei, und riet mir, diesen
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