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Ein Kuss vor Mitternacht

Ein Kuss vor Mitternacht

Titel: Ein Kuss vor Mitternacht
Autoren: Candace Camp
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Morgentoilette. Obgleich sie sich nicht allzu große Hoffnungen machte, dass Lady Haughston sie tatsächlich zu ihrem Stadtbummel mitnehmen würde, verwarf sie den Gedanken nicht völlig, um im Falle eines Falles nicht gezwungen zu sein, die elegante Dame in einem Werktagskleid zu begleiten. Also wählte sie ihr bestes Nachmittagskleid aus braunem Musselin und setzte das mit Baumwollspitze verzierte Häubchen auf, von dem Tante Blanche sagte, es entspreche Constances Alter und ihrem Stand. Allerdings zog sie ein paar Haarsträhnen über den Ohren nach vorne, drehte sie mit der Brennschere zu Löckchen, bis sie sich an ihren Wangen kringelten. Ihre Eitelkeit wollte es nicht zulassen, dass sie neben Lady Haughstons vornehmer Erscheinung aussah wie ein unscheinbares Mauerblümchen.
    Als Lady Haughston um Viertel nach eins nicht erschienen war, bemühte Constance sich tapfer, sich ihre Enttäuschung nicht anmerken zu lassen. Vielleicht hatte Lady Haughston sie verwechselt oder lediglich aus Mitleid eingeladen und heute keine Lust mehr verspürt, ihr Versprechen einzuhalten.
    Dennoch beschlich sie ein Anflug von Niedergeschlagenheit. Lady Haughston hatte ihr vom ersten Moment an gefallen, und Constance war ehrlich genug, sich einzugestehen, ein wenig stolz darauf zu sein, von einer gefeierten Berühmtheit der Londoner Gesellschaft angesprochen worden zu sein. In erster Linie aber hatte sie sich von diesem Ausflug etwas Abwechslung von der Eintönigkeit ihres Aufenthalts in London erhofft.
    Im Grunde ihres Wesens fühlte Constance sich auf dem Lande wohler als in der Glitzerwelt der Hauptstadt. Zugegeben, die gesellschaftlichen Anlässe in London waren mondäner und luxuriöser, aber da sie kaum jemanden kannte, saß sie die meiste Zeit während dieser Festlichkeiten auf einem harten Stuhl hinter ihrer Tante und den Cousinen und langweilte sich. Einer Anstandsdame wurde schließlich nicht mehr Aufmerksamkeit geschenkt als einem Möbelstück oder der Tapete an der Wand. Sie wurde nicht zum Tanzen aufgefordert und höchst selten in ein Gespräch mit einbezogen, das Tante und Cousinen mit anderen führten. Würden ihre Verwandten sie bei solchen Feierlichkeiten nicht immerzu ausgrenzen, hätten andere Gäste gewiss öfter das Wort an sie gerichtet. Aber die wenigen Bekannten der Woodleys wurden von ihnen eifersüchtig bewacht, in der eigennützigen Hoffnung, diese Beziehungen würden ihnen auf der Suche nach einem Ehemann für ihre Töchter nützlich sein.
    Darum musste Constance sich bei gesellschaftlichen Anlässen damit begnügen, die prächtig geschmückten Räume und die schönen Kleider zu bewundern, deren Reiz sich allerdings recht schnell abnutzte. Dann wünschte sie sich nach Hause, um sich dort in ihrer Kammer in ein Buch zu vertiefen.
    Auch tagsüber sehnte sie sich meist nach Abwechselung. In ihrem Elternhaus war Constance seit früher Jugend daran gewöhnt gewesen, den Haushalt ihres Vaters zu führen. Nachdem der Besitz an Sir Roger übergegangen war, hatte Tante Blanche das Regiment im Haus übernommen. Allerdings hatte sie Constance mit der Aufsicht über die Dienstboten betraut und mit anderen Aufgaben, die für einen reibungslosen Ablauf der täglichen Arbeiten sorgten. Das gemietete Haus in London war kleiner, die Anzahl der Dienerschaft beschränkt. Außerdem war die Haushälterin in der Stadt eine ausgesprochen tüchtige Wirtschafterin, sodass für Constance nicht viel zu tun blieb. Auch hatte sie in London keinerlei gemeinnützige Verpflichtungen. In ihrem Dorf war es ihr zur Gewohnheit geworden, den Familien der Pächter und anderen Bewohnern gelegentliche Besuche abzustatten, darunter auch dem Vikar und seiner Frau sowie dem mittlerweile im Ruhestand lebenden Rechtsanwalt ihres Vaters. Außerdem schaute sie regelmäßig bei Freunden und Nachbarn vorbei. Aber in London kannte sie niemanden außer ihren Verwandten, deren Gesellschaft sie, wenn sie ehrlich war, nicht sonderlich angenehm fand. Tante Blanche, Margaret und Georgiana redeten eigentlich von nichts anderem als von künftigen Ehemännern, Hochzeiten und schönen Kleidern. Onkel Roger hingegen redete so gut wie gar nicht und hielt sich ohnehin die meiste Zeit in seinem Klub auf oder zog sich zu Hause in sein Arbeitszimmer zurück, wo er, wie Constance vermutete, seine Zeit damit verbrachte, vor sich hin zu dösen.
    Das Schlimmste für Constance war der Umstand, dass sie in London in ihrem Freiheitsdrang eingeschränkt und ans Haus gebunden war.
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