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Ein Kreuz in Sibirien

Ein Kreuz in Sibirien

Titel: Ein Kreuz in Sibirien
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Haltung an. Seine graue Drillichjacke wies ihn als einen Krankengehilfen aus.
    »Er ist tot«, flüsterte er, als Larissa vorbeiging. »Pjotr ist tot …«
    »Ich weiß es, Professor. Habe ihn gesehen. Ein Unfall.«
    »Wirklich ein Unfall? Man erzählt schon so vieles im Lager. Wie Würmer kriechen die Gerüchte herum. War's wirklich eine Schwelle?«
    »Wirklich, Professor.«
    »Welch ein Verlust für uns alle!«
    »Wir müssen in seinem Geiste fortfahren …«
    Der Weißhaarige, der einmal Professor für Kybernetik gewesen war und dem man nach vier Vortragsreisen ins Ausland Verrat von Staatsgeheimnissen vorgeworfen hatte, obwohl er jedes Redemanuskript einreichte und um Freigabe gebeten hatte, hob den Kopf und drückte das Kinn an. Durch die Außentür betrat gerade Mikola Victorowitsch Jachjajew das Hospital, der für die Lagergruppe JaZ 451 zuständige politische Kommissar. Er war ein kleiner dicker Mann mit einem rosigen Gesicht und aufgeworfenen Lippen, so, als pfeife er dauernd. Aber sein Anblick täuschte. Es gab wohl niemanden in der Lagergruppe, Rassul als Kommandant eingeschlossen, der Jachjajew nicht die Hölle an den Hals wünschte. Das war sogar berechtigt, denn Mikola Victorowitsch war so etwas wie eine Wiedergeburt des Satans. Wo er auftauchte, breitete sich Kälte aus – Kälte im Herzen, im Blut, in den Nerven. Dabei wußte man, daß Jachjajew in Swerdlowsk ein hübsches Weibchen und drei Kinderchen sitzen hatte, alle mit roten Haaren, anzusehen wie die Engelchen. Ihre Fotos zeigte er jedem und blähte sich dabei voller Stolz auf wie ein Pfau. Aber die Fotos waren auch eine gefährliche Waffe. Ein paarmal hatte man erlebt, daß Gefangene zum Verhör befohlen wurden, vor dem Tisch von Jachjajew saßen und auf den silbernen Bilderrahmen starrten, der so auf seinem Schreibtisch stand, daß der zu Verhörende die Fotos sehen konnte. Wie eine Spinne beobachtete Jachjajew den Häftling, und wenn dieser mit den Augen blinzelte – auf dem Foto trug Jachjajews Frau einen knappen Badeanzug –, sprang Mikola Victorowitsch auf, hieb mit der Faust auf den Tisch und brüllte:
    »Was ist denn das? Na, was ist das denn? Starrt meine liebe Frau an, und seine Hose hebt sich! Hat man so ein Schwein schon gesehen? Ist das Fressen im Lager so gut? Dem kann man abhelfen! Zehn Tage in den Jaschtschik!«
    Das war die reine Hölle, denn damit war – Jaschtschik heißt Kasten – ein enger Bretterraum ohne Fenster und Boden gemeint. Nur gestampfte Erde, nichts zum Sitzen, nichts zum Festhalten. Dunkelheit und Kälte im Winter. Dunkelheit und Glut im Sommer. Und wer das zehn Tage lang überlebte, fiel in die Knie, wenn er nur von weitem ein Foto sah.
    Das war Jachjajew, und dieser Satan betrat jetzt das Hospital. Der Professor rief denn auch sofort: »Melde: Nummer 14, Zimmer 9. Anatoli Pawlowitsch Dudin. Hat Blut im Urin!«
    Larissa verstand, ohne sich umzudrehen. Sie winkte energisch, als verscheuche sie eine lästige Fliege; der Professor drehte sich weg und lief davon. Jachjajew war näher gekommen und rieb sich die dicke Nasenwurzel. Man kann es nicht leugnen: Er sah wie ein Ferkelchen aus.
    »Das war doch der Professor Polewoi, der Kybernetiker?« fragte er.
    »Ja«, antwortete Larissa abweisend.
    »Wie stellt er sich an, schöne Ärztin?«
    »Geschickt. Aber was wollen Sie auf meiner Station?« Larissa blieb stehen, und ihre Augen funkelten angriffslustig. Wie herrlich sie ist, dachte Jachjajew.
    »Ich bin gekommen, um Ihnen anzukündigen, daß ich morgen einen Schulungsabend abhalte. Hier im Gemeinschaftssaal. Alle Kranken müssen kommen. Ob mit Bett oder ohne Bett – alle! Morgen abend um acht Uhr.«
    Er rieb wieder seine Nasenwurzel und drehte sich dann schroff um. Auf kurzen, stämmigen Beinchen wieselte er aus dem Hospital.
    Man sah es nicht, aber Larissa atmete auf. Ihm ist Pjotr entronnen, dachte sie. Mein Gott, wie sähe es jetzt hier aus, wenn Jachjajew hinter Pjotrs Stirn hätte blicken können …
    In Rom erhielt Pater Stephanus Olrik einen geheimnisvollen Anruf. Als das Telefon läutete, hob er ahnungslos den Hörer ab, und eine durchaus angenehme Stimme sagte einfach so dahin:
    »Ich brauche Sie!«
    Pater Olrik war Angehöriger der Kongregation vom Heiligen Kreuz (KHD) in Rom, einem kleinen, aber exklusiven Orden, der vor allem in den asiatischen Staaten mit großer Mühe seine Missionsstationen aufbaute. Seine Oberen hatten ihn als Dolmetscher für Russisch in eine Dienststelle des Vatikans
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