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Ein Kreuz in Sibirien

Ein Kreuz in Sibirien

Titel: Ein Kreuz in Sibirien
Autoren: Heinz G. Konsalik
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abkommandiert, die es offiziell gar nicht gab. Sie nannte sich harmlos ›Ostabteilung‹, wurde nirgendwo in den Lohnlisten geführt, tauchte in keinem Stellenplan auf, hatte jedoch einige Büroräume außerhalb des Vatikans in der Vorstadt Fiumicino bezogen, ganz in der Nähe des Flughafens. In einem unscheinbaren, alten Haus mit vermoosten Schindeldächern. Wer daran vorbeiging, machte sich keinerlei Gedanken, so uninteressant sah es aus.
    Pater Stephanus lehnte sich in seinem Schreibtischstuhl zurück, streckte die Beine von sich und betrachtete die Spitze des Rotstiftes, den er in der linken Hand hielt. Er war gerade damit beschäftigt gewesen, aus einer sowjetischen Komsomolzenzeitschrift einen Artikel zu übersetzen, der sich mit einem aufsehenerregenden Phänomen beschäftigte: Unter der sowjetischen Jugend machte sich eine schleichende Religiosität bemerkbar. Der Komsomolzenführung kam das unheimlich und unverständlich vor. »Wer ist da?« fragte Olrik. »Wollten Sie mich tatsächlich sprechen? Pater Stephanus?«
    »Da ich Ihre Rufnummer kenne, sollten Sie das annehmen. Ich möchte Sie bitten, in einer Stunde zur Piazza Campo dei Fiori zu kommen. Ich erwarte Sie dort, und wir gehen dann ein wenig spazieren.«
    »Sie sind ein Spaßvogel, Signor Unbekannt!« sagte Olrik belustigt. »Wenn ich nicht in einer wichtigen Aufgabe steckte, würde ich mir die Zeit nehmen, mich mit Ihnen weiter zu unterhalten. So aber? Adieu …«
    »Es handelt sich um eine weit größere Aufgabe als die, welche Sie gerade vor sich haben. Ich nehme an, Sie übersetzen einen Zeitungsartikel aus dem Russischen.«
    Pater Olrik warf seinen Rotstift auf den Tisch zurück und straffte sich. »Wer sind Sie?« fragte er mit Schärfe in der Stimme. Gleichzeitig drückte er auf den Knopf, der das Tonbandgerät in Bewegung setzte, mit dem das Telefon verbunden war.
    Sein Gesprächspartner lachte verhalten: »Daß es die Techniker nicht wegbekommen, dieses Knacken, wenn sich das Tonbandgerät einschaltet! Seien Sie beruhigt, Pater Stephanus, Ihre Oberen wissen Bescheid. Der Leiter Ihres Büros hat nichts dagegen.«
    »Mit mir hat noch keiner gesprochen.«
    »Auf meinen ausdrücklichen Wunsch hin. Bitte, stellen Sie den dummen Kasten ab, und löschen Sie das Band! Wir treffen uns auf der Piazza Campo dei Fiori.«
    »Und wie erkenne ich Sie?«
    »Ich kenne Sie, Pater Stephanus. Wir können uns nicht verfehlen. Ich bin Geistlicher wie Sie.«
    »Moment!« rief Olrik. »Noch eine Frage.« Aber der Anrufer hatte aufgelegt in der Gewißheit, daß diese Frage kommen mußte.
    Wenig später stand er dem Leiter der ›Ostabteilung‹ gegenüber, in einem nüchternen Büro mit Regalwänden, ein paar Stühlen und einem Tisch. Der einzige Schmuck war ein Farbfoto des Papstes, ein großes Bild in einem Wechselrahmen aus Messing. Wie Olrik trug auch er einen schwarzen Anzug mit einem runden steifen Kragen darunter. Er hatte den Titel eines Prälaten verliehen bekommen und wurde offiziell als Mitglied der Verwaltung der vatikanischen Gärten geführt.
    »Ich habe da eben einen mysteriösen Anruf bekommen …«, setzte Pater Olrik an, aber der Prälat winkte ab, setzte sich lächelnd und zeigte auf einen Stuhl neben sich. Olrik nahm Platz und blickte verwundert auf die Schreibtischlade, die jetzt geöffnet wurde. Eine Flasche Kognak kam zum Vorschein, ihr folgten zwei kleine Becher aus Silber. Der Prälat goß ein, reichte Olrik einen Becher und hob den seinen hoch.
    »Spülen wir die Verwunderung weg!« sagte er. »Eins muß ich Ihnen schon im voraus sagen, Stephanus: Ich habe lange gezögert, ehe ich zustimmte. Ich habe mit mir gerungen wie ein Erzengel mit den Teufeln. Ich habe ein ganz hartes NEIN gesagt – aber dann ließ ich mich belehren, daß der Auftrag Christi über alles geht, auch über alle Gefahren.«
    »Ich verstehe kein Wort«, sagte Olrik und hielt seinen Silberbecher hin. »Erlauben Sie noch einen, Monsignore?«
    »Gut so! Üben Sie, Stephanus. Sie werden zum Wohle des Kreuzes noch mächtig saufen müssen.«
    »Ich verstehe gar nichts mehr. Wer ist der anonyme Anrufer, Monsignore?«
    »Auch ein Monsignore.« Der Prälat erhob sich, ging zum Fenster, wanderte dann in dem muffigen Raum herum und schlug hinter dem Rücken die Hände gegeneinander. »Wenn wir schon so etwas wie eine illegale Truppe sind, die niemand im Vatikan kennen will, dann ist Ihr Anrufer überhaupt nicht existent. Nicht in seinem Aufgabenbereich! Denn den gibt es nicht, hat
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